Schmücker, Gottlob

Mediation – eine Alternative (?)

Geschichte und Praxis

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: das Orchester 09/2010 , Seite 24
Wo mehrere Personen zusammen leben oder arbeiten bleiben Konflikte nicht aus. Konflikte sind menschlich und können neue Energien freisetzen, wenn sie gelöst werden. Schwierig wird es, wenn nur der Weg zum Richter bleibt, um den Knoten entgegengesetzter Meinungen und Positionen zu zerschlagen. Es gibt eine Alternative: die Mediation, die sich u. a. bei Auseinandersetzungen in Familien, der Nachbarschaft oder in der Arbeitswelt als Instrument der Konfliktlösung immer mehr durchsetzt.

In der Arbeitswelt und in der Familie müssen Personen zum Teil über Jahrzehnte auf engstem Raum miteinander auskommen. Bei Konflikten in diesem Umfeld ist die Mediation den klassischen Konfliktlösungsinstrumenten überlegen. Warum ist das so? Geht man vor Gericht, bekommt man möglicherweise Recht. Der Konflikt, um den es geht, muss deshalb noch lange nicht behoben sein. Vor Gericht gibt es mindestens einen Verlierer, im Extremfall gehen beide Parteien leer aus. Eine erfolgreiche Mediation kennt dagegen nur Gewinner. Der Mediator versetzt die Konfliktparteien in die Lage, miteinander ins Gespräch zu kommen und für den Standpunkt des anderen Verständnis zu entwickeln, um daraus selbstständig Lösungen zu erarbeiten, die von beiden Seiten (Win-win-Situation) getragen werden und zukunftsfähig sind. Hierauf wird später noch genauer eingegangen.
Wer kennt die Situation nicht? Man fühlt sich vom Arbeitgeber oder einem Kollegen schlecht behandelt und lässt nach Dienstschluss im Bekannten- oder Kollegenkreis seinem Ärger freien Lauf. Manch einer kommt dann vielleicht auf den Gedanken, einen Anwalt einzuschalten. Nach einem ersten Termin bekommt man die Kopie des anwaltlichen Schreibens an die gegnerische Seite und erschrickt: Die Gefühle und Erwartungen, die man dem Anwalt gegenüber geäußert hat, sind in der formalen Sprache des Juristen, der versucht, einen konkreten Rechtsanspruch herzustellen, kaum noch erkennbar. Bei der Härte der Formulierungen fühlt man sich unwohl und spürt, dass ein Prozess angestoßen wurde, den man so eigentlich nicht wollte. Eine denkbare Alternative in diesem Fall wäre es gewesen, eine Mediation anzustreben.

Ursprünge der Mediation
In ihrer heutigen Form wurde die Mediation als Konfliktlösungsverfahren in den 1960er und 1970er Jahren in den USA entwickelt. Schon vorher („Federal Mediation and Conciliation Service“ seit 1947) kam sie im Bereich des Arbeitsrechts bei der Vermittlung von Arbeitskämpfen zur Anwendung. [1] Weitere grundlegende Impulse zur Weiterentwicklung gingen in den 1980er Jahren vom „Harvard Negotiation Project“ aus. [2]
Obwohl sich die heutige Mediation also von den USA aus entwickelt hat, liegt ihr eigentlicher Ursprung in Europa, wie sich bereits an der lateinischen Herkunft des Begriffs „Mediator“ (= Mittler) [3] erkennen lässt. Der erste urkundlich erwähnte Mediator war wohl der 1597 in Venedig geborene Diplomat Alvise Contarini. Er kam am 16. November 1643 in Münster an, um die Verhandlungen zu moderieren, die am 24. Oktober 1648 zum „Westfälischen Frieden“ führen sollten, welcher den Dreißigjährigen Krieg beendete. Contarini verfügte über all diejenigen Eigenschaften, die nach heutigem Standard zu einem Mediator gehören: Er war von allen Konfliktparteien gewählt und strikte Unparteilichkeit gehörte zu seinen Prinzipien. Die Vertreter von Staaten sehr unterschiedlichen Gewichts verhandelten miteinander auf gleicher Augenhöhe. [4] Auf Kupferstichen aus dem 17. Jahrhundert wird er als „Legatus et Mediator“ (Legat und Mediator) bezeichnet. [5]
Auch in der deutschen Ausgabe einer 1681 in Nürnberg verlegten Porträtsammlung wird die Bezeichnung Mediator bereits verwendet: „Wahrhaffte Contrafacturen und Abbildungen derer Weltberühmten und Preißwürdigsten Herren Mediatoren“. [6] In der 1822 von Brockhaus herausgegebenen Real-Encyclopädie der gebildeten Stände ist unter dem Eintrag „Mediateur“ zu lesen: „Im Völkerrechte eine vermittelnde Macht, welche durch gütliche Unterhandlung den bevorstehenden oder schon ausgebrochenen Krieg zwischen andern Mächten mit deren Einwilligung friedlich zu schlichten bemüht ist.“ [7]
Der Beginn der Mediation verlief in der Bundesrepublik seit dem Ende der 1980er Jahre in verschiedenen, zunächst relativ getrennten Strömungen. Nachdem die Familienmediation erstmals 1982 in Bad Boll vorgestellt worden und zunächst ohne Widerhall geblieben war, dauerte es bis zum Herbst 1989, bis in der juristischen Fachpresse erste Berichte veröffentlicht wurden. [8] Seit Mitte der 1990er Jahre gibt es eine „Wirtschaftsmediations-Bewegung“, die sich für den Einsatz von Mediation auch in Arbeitsplatzkonflikten einsetzt. [9]

Mediationsfelder und Mediationsdurchführung
Aktuell kann eine Mediation in den folgenden Bereichen zum Einsatz kommen:
> Familienrecht (z.B. Scheidung/Trennung, Eltern/Kinder/Paare)
> Strafrecht (z.B. Täter-Opfer-Ausgleich, Beleidigung)
> Zivilrecht (z.B. Nachbarschaftsstreitigkeiten, Mieter/Vermieter)
> Schule (z.B. Gangs, Schüler/Lehrer, Schüler/Schüler, Eltern/Lehrer)
> Arbeitsplatz (z.B. Mobbing, sexuelle Belästigung)
> Wirtschaft (z.B. Geschäftsverhandlungen, Tarifverhandlungen)
> Politik (z.B. Standortkonflikte, Umwelt)
Für alle Bereiche gelten als wesentliche Merkmale die Freiwilligkeit der Teilnahme, die Selbstbestimmung bezüglich der Konflikt­-lösung, die Vermittlung durch einen neutralen Mediator, die Einbeziehung aller Konfliktparteien sowie die außergerichtliche Ebene. [10] Sind diese Voraussetzungen gegeben, ist eine Mediation dann sinnvoll, wenn der Konflikt nicht im direkten Gespräch gelöst werden kann, aber trotzdem ein grundsätzliches Interesse der Beteiligten an der Aufrechterhaltung und/oder zukünftigen Gestaltung einer Beziehung gegeben ist. Es sollte auch genügend Zeit vorhanden und noch keine formelle Ebene der Konfliktaustragung erreicht sein. [11]
Dem gegenüber ist eine Mediation nicht geeignet, wenn der Konfliktfall zwingend strafrechtlich relevant ist. Bei den oben erwähnten Beispielen Mobbing und sexuelle Belästigung ist eine Mediation natürlich ausgeschlossen, wenn der Prozess bereits so weit fortgeschritten ist, dass es zu entsprechenden Übergriffen gekommen ist. Auch bei zu großen Hierarchieunterschieden oder Abhängigkeiten ist eine Mediation nicht sinnvoll. [12]
Eine Mediation läuft in der Regel in fünf Phasen ab (Sonderfall: Mediation in einer Organisation, bei der mit dem Auftraggeber eine Vorphase u.a. zur Abklärung der Rahmenbedingungen vorgeschaltet wird):
> Einleitung und Eröffnung: Der Rahmen wird geschaffen: Regeln, Ziel der Mediation, Verfahren usw.
> Sichtweisen klären
> Konflikterhellung: Gefühle/Hintergründe klären, Gemeinsamkeiten herausfinden
> Problemlösung: Gemeinsames Erarbeiten einer Lösung durch Konfliktbeteiligte
> Übereinkunft: Es wird eine einvernehmliche Vereinbarung erzielt und schriftlich fixiert.
In der Arbeitswelt gibt es neben den bereits erwähnten Beispielen Mobbing und sexuelle Belästigung weitere zahllose Konflikt­varianten auf der Ebene individueller Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern oder Konflikte zwischen Arbeitnehmern. Aber auch Auseinandersetzungen zwischen Betriebs- bzw. Personalrat und Leitung der Dienststelle sowie zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern (z.B. Tarifauseinandersetzungen) sind dem Bereich der Arbeitsmediation zuzuordnen. [13] Konflikte in diesem Bereich können aus Interessensgegensätzen zwischen Arbeitnehmern und Leitung oder zwischen Gruppen resultieren.
Bei zahlreichen Arbeitskonflikten verstecken sich hinter den vertretenen Rechtsansprüchen verletzte oder nicht berücksichtigte Bedürfnisse und Wünsche. Für Personalräte ist zum Beispiel – unabhängig von der Klärung einer aktuellen Rechtsfrage – auch der Respekt vor der eigenen kompetenten Arbeit und die Würdigung der Personalratsarbeit von Bedeutung. [14] Gerade bei der Bearbeitung von Konflikten in der Arbeitswelt sollte deshalb immer überlegt werden, ob es sinnvoll ist, eine Streitfrage, die im Konflikt zentral ist, arbeitsrechtlich zu klären, oder ob ein mediativer Ansatz nicht sinnvoller wäre. [15]
Damit schließt sich der Kreis: Mediation – eine Alternative (?). Nach meiner Auffassung und der meiner Kollegen im Netzwerk „Der gute Ton“ ist die Frage eindeutig mit Ja zu beantworten. Frei von den durch Anwälte schematisch zurechtgezurrten Sachverhalten, den ritualisierten Abläufen einer Gerichtsverhandlung und dem formalen Umfeld des Gerichtssaals werden die Teilnehmer einer Mediation durch den Mediator in die Lage versetzt, gemeinsam Lösungen zu finden. Durch das damit verbundene Verstehen des anderen wird aus dem juristischen „Wer will was von wem woraus?“ das wesentlich produktivere „Wer will was von wem warum?“ Von hier aus können zufriedenstellende Lösungen verhandelt werden.

[1] KOMED München: Mediation. Was ist das?, Seminarreader 2004.
[2] KOMED, a.a.O.
[3] Wikipedia.
[4] Hans Victor Schwartz: Ein Beitrag zur Geschichte der Mediation in Europa,
Westerstede 2005.
[5] ebd.
[6] Hermann Heinrich Guiter, Nürnberg, 1628-1708; siehe Schwartz, a.a.O.
[7] siehe Schwartz, a.a.O.
[8] KOMED, a.a.O.
[9] Andrea Budde: „Mediation und Konfliktmanagement in Behörden und Verwaltungen“, in: Der Personalrat, 4/2002, S. 9 und S. 14.
[10] KOMED, a.a.O.
[11] ebd.
[12] ebd.
[13] Andrea Budde: „Mediation in Wirtschaft und Arbeitswelt“, in: Dieter Strempel (Hg.): Mediation für die Praxis. Recht, Verfahren, Trends, Berlin 1998, S. 13.
[14] Budde, „Mediation und Konfliktmanagement“, a.a.O.
[15] KOMED München: Lohn der Angst oder andere Nettigkeiten. Mediation am
Arbeitsplatz, Seminarreader 2005, S. 15.