Reichelt, Bettine
Max Reger
Ein biographischer Roman
Max Reger war in nahezu jeder Hinsicht ein unmäßiger Mensch nicht nur wegen seiner Körperfülle und seines herzhaften Appetits, sondern auch wegen seiner unglaublichen Produktivität als Komponist und von Ort zu Ort eilender Interpret. Er stellte sein Leben mit Haut und Haaren in den Dienst der Musik. Diplomatie war seine Sache nicht und doch konnte er auf einen Kreis von Freunden und Mitstreitern bauen.
Nachdem es in den vergangenen zwei Jahrzehnten vor allem dank der unermüdlichen Quellen- und Öffentlichkeitsarbeit des in Karlsruhe beheimateten Max-Reger-Instituts sowie herausragender Einspielungen aller Werkgruppen zu einer kleinen, aber feinen Renaissance des uvres gekommen ist, fehlt es derzeit noch immer an einer aktuellen Biografie, die nicht nur die Ergebnisse mühevoller Forschungen zusammenfasst, sondern auch auf Grundlage der Quellen (u.a. Tausende von Briefen) ein Charakterbild des Komponisten zeichnet.
All das konnte und wollte Bettine Reichelt mit ihrem biographischen Roman offenbar nicht leisten. Vielmehr lauschte die Autorin einer inneren Stimme, um der geradezu pastoralen Frage nachzugehen: Wer ist der Mensch? (Vorwort, S. 8). Herausgekommen ist ein merkwürdig zweigeteiltes Buch, in dem zunächst ein grob geschnitztes Psychogramm eines dem endgültigen Absturz ins Delirium nahen Menschen entsteht (Reger selbst sprach von seinen Wiesbadener Jahren als Sturm- und Trankzeit). Als die Zeiten dann steigende künstlerische Reputation (und Nüchternheit) brachten, wendet sich die Autorin Elsa Reger zu und verhilft auch ihr zu einem passablen Outing. Gerade an diesem heiklen Punkt vermischen sich Wirklichkeit und Fiktion denn zu Letzterer gehört auch Elsas so genanntes Tagebuch. Wo aber tatsächlich einmal wörtlich zitiert wird (durch Kursivierungen typografisch kenntlich gemacht), da sind die Worte oftmals entweder aus dem Zusammenhang genommen oder schlichtweg falsch: Die Hörer des 100. Psalms sollten nicht als Briefmarke, sondern wie ein Relief an der Wand kleben (S. 226).
Wundern darf man sich, warum allein dem in Weiden geborenen Max Reger permanent ein Dialekt in den Mund gelegt wird, nicht aber seinen Eltern oder seiner Schwester (außerdem handelt es sich, wie mir von kundiger Seite versichert wurde, um eine sich oberbayerisch gebende, nicht aber um die für Reger typische oberpfälzer Mundart). Freilich: Stilblüten und sprachliche Unbeholfenheit ringen dem geneigten Leser auch ein trockenes Lächeln ab: Was ist zu tun? Er weiß es nicht. Er sucht die Antwort auf dem Boden eines Glases und kann sie auch dort nicht finden. (S. 91)
Man muss sich aber nicht erst bis zu Seite 273 vorkämpfen, um dort in Dank und Anmerkungen zu den Quellen zu erfahren, dass nur in Ausnahmefällen Sekundärliteratur zu Rate gezogen wurde. Von Regers musikalischer Sprache ist ohnehin nicht die Rede; wo aber (ausnahmsweise) einmal ein Werk genannt wird, gerät die Autorin in das Reich der Spekulation wie beim Verbleib des Klavierkonzerts op. 17 oder hinsichtlich der Choralzeilen in der Suite op. 16 und der Fantasie op. 27. Vor einer unreflektierten Lektüre dieses Buchs muss dringend gewarnt werden.
Michael Kube