Bach, Johann Sebastian

Mass in b minor BWV 232

Rubrik: CDs
Verlag/Label: BIS Records BIS-SACD-1701/02
erschienen in: das Orchester 04/2008 , Seite 62

Die vorliegende Interpretation der h-Moll-Messe durch Masaaki Suzuki und sein Team darf als eine Krönung ihrer Bemühungen um das Vokalwerk Bachs angesehen werden. Gleich im Kyrie gefällt die außerordentliche Homogenität des 18-köpfigen Chores, die Schlankheit seines vibratoarmen Gesangs und seine Fähigkeit, gleichsam organisch aus dem instrumentalen Geschehen herauszuwachsen. In einem natürlich anmutenden Fluss entwickeln sich die Gesangslinien, und eine differenzierte Binnendynamik sorgt dafür, dass die Stimmen den ihnen gebührenden Raum zur Entfaltung ihrer kontrapunktischen Motive erhalten. Die Aussprache wirkt weithin vorbildlich. Die Wachheit und schnelle Reaktionsfähigkeit des Chors überrascht beim Attacca-Einsatz „Cum sancto spiritu“. Lediglich den extrem hohen Einsätzen beim „Et incarnatus“ fehlt die letzte Klarheit – ein Mangel, den andere Einspielungen auch aufweisen und der die Leistung des Chors kaum schmälert. Erstaunlich auch, wie wenig auftrumpfend und biegsam das abschließende „Dona nobis pacem“ erklingt.
Auch das Instrumentalensemble musiziert mit diesem hohen Anspruch; ein gleicher Atem bei großer Durchhörbarkeit vermittelt gleichzeitig Geschlossenheit und künstlerische Individualität. Natsumi Wakamatsu spielt eine sensible, biegsame und klangschöne Violine; Toshio Shimadas Trompete und Kiyomi Sugas Traversflöte lassen keine Wünsche offen. Etwas stumpf kling Olivier Darbellays Corno da caccia im „Quoniam tu solus sanctus“. Die Balance zwischen Orchester und Chor oder Solisten ist optimal gelöst. Es ist wie aus einem Guss.
Die Gesangssolisten – Carolyn Sampson und Rachel Nicholls singen Sopran auch im Chor – fügen sich hervorragend ein; besonders Nicholls überzeugt mit ihren Koloraturen im „Laudamus te“. Gerd Türk und Peter Kooij finden in ihren Arien eine Tonlage vor, die ihrem stimmlichen Ambitus auf das Beste entspricht, und sie wissen das zu nutzen. Robin Blaze setzt seinen überaus wohlklingenden Altus sehr instrumental ein; ein Höhepunkt ist die Verschmelzung von Sopran und Altus im Zwiegesang des „Et in unum Dominum Jesum Christum“.
Die Tempi der Messe sind kaum anders als zum Beispiel in der Aufnahme von Thomas Hengelbrock; dennoch erscheint die Interpretation Suzukis eher unspektakulär und aus der Stille geboren. Adoration und Kontemplation stehen im Vordergrund. Dabei scheut Suzuki keine Steigerungen; allein schon das Gloria ist reich an festlichen Aufschwüngen, die dann allerdings in großer Gelassenheit zelebriert werden. Gelöstes, geradezu tänzerisches Musizieren wird dort praktiziert, wo es der musikalische Text verlangt, im „Christe eleison“ etwa oder besonders wirksam im Credo. Das immer wieder erstaunliche „Qui tollis peccata mundi“ wird als atmosphärisch ungemein dichtes Gewebe vorgeführt. Eindringlich und überzeugend das „Crucifixus“ mit der Stille der Grablegung am Ende; darauf folgt die Pause, nicht zu kurz und nicht zu lang, und mit entsprechendem Triumph setzt das „Et resurrexit“ ein. Das Sanctus in seiner Festlichkeit ist schlicht überwältigend.
Diederich Lüken