Knox, Garth

Marin Marais Variations

on „Folies d’Espagne“ for four violas, Viola Spaces Vol. III

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2013
erschienen in: das Orchester 06/2013 , Seite 66

Garth Knox ist einer der innovativsten Violaspieler unserer Zeit. Der in Irland geborene Künstler studierte am Royal College in London, wurde von Pierre Boulez ins Ensemble Intercontemporain geholt, spielte im Arditti Quartett und ist seit 1998 als Solist erfolgreich. Für Bratschisten schrieb er eine Art Schule des zeitgenössischen Violaspiels, in der die heute geforderten Spieltechniken erarbeitet werden.
Als dritten Band legt er nun eine eigene Komposition für Violaquartett vor: Variationen über Marin Marais’ Folies d’Espagne, die das Werk des im Barock lebenden Viola-da-Gamba-Virtuosen in unsere Zeit hinüberführen: Das barocke Thema wird mit modernen Spieltechniken in die Klangwelt unserer Zeit getaucht. Durch ein Herabstimmen der C-Saite der 4. Viola zum A wird mehr Tiefe erreicht. In der ersten Variation spielen die Bratschisten sul tasto, in der zweiten mit Flageoletttönen und Glissandi, in der dritten pizzicato, in der vierten verschiedene Arten von Glissandi, nämlich langsam und schnell, weit- und engräumig, in der fünften mit Staccato, col legno-Spiel, wischendem und kreisendem Bogen, in der sechsten mit Vierteltönen, in der siebten ponticello auf dem Griffbrett und in der achten mit Tremolo.
Barocke Variation und zeitgenössische Musik – geht das zusammen? So erstaunlich das klingt: Ja, denn Barockmusik, insbesondere Gambenmusik, lebt von einer differenzierten Klanggestaltung und nuancenreichen Artikulation. Die zeitgenössische Musik verfolgt ein ähnliches Ziel, indem sie z.B. das Klangspektrum von Streichinstrumenten durch ungewöhnliche Spieltechniken, vor allem auch in der Bogentechnik, erweitert und so den Instrumenten neue Klangfarben entlockt. Noch vor einem Jahrzehnt wurden diese Spieltechniken häufig als Verfremdung aufgefasst, heute dagegen sind sie Ausdrucksmittel, die das Spiel bereichern. Wenn z.B. in der Variation 2 über den Flageoletttönen der drei unteren Violen die 1. Viola mit ihren Glissandi zum a”’ emporsteigt, entsteht ein Gesamtklang von berückender Schönheit. In der 5. Variation macht das Staccato die Streichinstrumente zu Schlaginstrumenten. Gegenüber dem klassisch-romantischen Spiel eröffnen sich für den Violaspieler neue Horizonte.
Der Variationszyklus ist pädagogisch ausgerichtet und fordert von den Spielern eine neue Form von Virtuosität – eine Vituosität der Klanggestaltung. Wird diese erreicht, dann sind diese Variationen auch ein dankbares Konzertstück, in dem sich für das Publikum neue Hörwelten erschließen.
Die Ausgabe des Schott-Verlags umfasst die Einzelstimmen und die Partitur sowie Erläuterungen zur Spieltechnik. Eine für das moderne Violaspiel wegweisende Edition.
Franzpeter Messmer