Seifert, Wolfgang
Marek Janowski
Atmen mit dem Orchester
Marek Janowski, von der Presse jüngst respektvoll als einer der letzten Zuchtmeister und Bonapartes des deutschen Orchesterpults tituliert, leitet heute das traditionsreiche Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, das er nicht nur rettete, sondern auch innerhalb weniger Jahre in der vordersten Reihe der deutschen Orchester positionieren konnte. Die Musiker erwiesen ihm ihre Dankbarkeit, indem sie ihn zum Chefdirigenten auf Lebenszeit machten. Eine größere Anerkennung ist für einen Dirigenten wohl nicht denkbar.
Wolfgang Seifert würdigt mit seiner zum 70. Geburtstag Janowskis erschienenen Biografie das Lebenswerk eines Dirigenten, der wie kaum ein anderer die europäische Orchesterkultur geprägt hat. Janowskis Arbeit setzt bei Handwerklichem an: bei der Formung des Apparates selbst, wobei ihm vollkommenes Zusammenspiel und sorgsam austarierte Klangbalance die unverzichtbare Basis für alles Weitere darstellen. Daraus resultiert ein außerordentlich farbiges, transparentes Klangbild, wie es heute sein Rundfunk-Sinfonieorchester kennzeichnet.
Seiferts Buch ist elegant geschrieben und flüssig zu lesen. Ohne Privates auszusparen, handelt es sich im Wesentlichen um eine Berufsbiografie, die durch das gelegentliche Einstreuen von autobiografischen Selbstauskünften Authentizität gewinnt. Chronologisch werden die einzelnen Lebensstationen, beginnend mit der besonderen Prägung Janowskis als deutsch-polnisches Kriegskind, silhouettiert. Seiferts Darstellung durchzieht ohne eine Eloge zu sein eine große Sympathie gegenüber seinem Gegenstand.
Und tatsächlich ist das Muster, das Janowskis Lebenswerk durchwirkt, faszinierend: Immer wieder hat er sich dem Aufbau zweitrangiger Orchester verschrieben, die er innerhalb kurzer Zeit zu internationalen Spitzenensembles formte. Janowskis Profil ist unverwechselbar: Als einer der bedeutendsten Wagner-Dirigenten hat er nie in Bayreuth dirigiert und wird es auch künftig nicht. Denn überzeugt von der dramatischen Kraft der Wagnerschen Musik wird er den seit seiner legendären Dresdner Schallplatteneinspielung von 1983 eingeschlagenen Weg einer nichtszenischen Aufführung Wagnerschner Werke auch in Zukunft weiter fortsetzen.
Wie kaum ein anderer hat sich Janowski um den Abbau kultureller Barrieren bemüht: In Frankreich etablierte er Bruckner, in deutschen Orchestern entwickelte er das Gespür für französische Musik; für viele Komponisten des 20. Jahrhunderts und insbesondere solche, die jenseits des klassischen Kanons liegen, setzte er sich vehement ein. Im Berlin der Nachwende kämpfte er für die Überwindung mentaler Ost-West-Barrieren.
Man muss Seifert für sein empfehlenswertes Buch, das auch ein Dokument der europäischen Orchesterkultur ist, dankbar sein, denn jedem Leser wird klar: wofür ein Dirigent da ist; dass es ein Ethos des Dirigierens gibt; worin es besteht und dass es, konsequent gelebt, Berge versetzen kann.
Andreas Eichhorn