Goehr, Walter
Malpopita
Funkoper (1931)
In den 1920er Jahren nutzten viele Komponisten massenwirksame Medien, das Radio insbesondere. Dessen spezifische Erfordernisse (z. B. Textverständlichkeit, mikrofongerechte Instrumentierung) kongruierten mit einer bewussten Vereinfachung der musikalischen Sprache. Weills/Hindemiths Lehrstück Der Lindberghflug oder Eislers Kantate Tempo der Zeit sind hierfür Beispiele, selbst Schönbergs Zeitoper Von heute auf morgen wurde bald nach ihrer Uraufführung vom Rundfunk übertragen.
Walter Goehr, 1903 in Berlin geboren, 1932 ins britische Exil gezwungen, war ein vielseitiger Dirigent, als Komponist geriet er in Vergessenheit. Seine Malpopita (1931) gilt als erste eigentliche Radiooper, von der jetzt eine Live-Aufnahme vorliegt, realisiert in einer Berliner Fabrikhalle. Da nur ein Klavierauszug greifbar war, erstellte Andrew Hennan geschickt eine Neuinstrumentation.
Malpopita ist eine Aussteigerstory, ein Traum, ein Märchen, eine Allegorie. Adam Schikedanz, der Industriearbeitswelt müde, heuert auf der Esperanza an zur Fahrt auf die Trauminsel Malpopita, verliebt sich in die Kapitänstochter Evelyne, ruft die Eifersucht des Steuermanns hervor, erlebt einen Schiffbruch, wird Zeuge der Entdeckung von Öl sowie der Gründung einer Malpopita Oil Company, die die Arbeiter, auch ihn, genauso ausbeutet wie zu Beginn. Das abgedruckte Libretto, nicht immer leicht lesbar wegen einer Palmenlandschaft im Hintergrund, weicht zuweilen etwas von den Aufführungstexten ab und ist auch nicht ganz vollständig (z. B. fehlt in Nr. 3 Wanderlied der zweite Einwurf der Sprechstimme).
Im Booklet wird Goehrs Musik fast ausschließlich durch Verweise auf andere Komponisten definiert (im Gegensatz dazu Sohn Alexander in dem die CD beschließenden Radio-Feature). Trotz Anklängen an seinen Lehrer Schönberg, an Weill, trotz Zitaten (die Nr. 4 Kneipenszene nimmt Ralph Arthur Roberts Auf der Reeperbahn nachts um halb eins auf) bleibt ein eigener Tonfall gewahrt, harmonisch und klanglich vielfältig differenziert, inhaltlich jedoch oft ohne Haltung. Kaum verdeutlicht die Musik die Charaktere oder typisiert diese, sie übertreibt oder karikiert auch nicht an geeigneten Stellen. Im Melodischen gelingt Goehr keine Eingängigkeit, jedoch liefern einige Motive und die Bogenform Wiedererkennungswert.
Jin Wang leitet die eigens zusammengestellten Ensembles (Kammerorchester und -chor) stilistisch sicher, der Chor ist rhythmisch nicht immer einheitlich. Die Solistenpartien sind solide besetzt: Lilia Milek gelingt mit ihrem flexiblen Sopran eine gute Rollengestaltung, ermüdend wirkt der unabhängig von der jeweiligen Szenerie stets gleichartige, rufende Sprechton sicher der Größe des Aufführungsorts geschuldet. Hier fehlt die dem Rundfunk eigene Mikrofonnähe, die größere Differenzierung erlaubte. Eine Textverständlichkeit ist nicht immer gewährleistet, auch eine Folge der Kompositionsweise, da die Stimmen sich mehrmals überlagern.
Diese Produktion ist nicht nur von historischem Interesse. Sicher wird diese Oper kein Repertoirestück, doch für kleinere Bühnen eignet sie sich durchaus. Bedeutet das Medium Radio den Verzicht auf einen unmittelbaren Kontakt zwischen Darsteller und Publikum, bedeutet dies nicht, dass ein solcherart komponiertes Werk auf Szene gänzlich verzichten müsste: Goehrs Musik ist bühnenwirksam.
Christian Kuntze-Krakau