Brenner, Helmut / Reinhold Kubik

Mahlers Welt

Die Orte seines Lebens

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Residenz, Salzburg 2011
erschienen in: das Orchester 09/2011 , Seite 70

In der Fülle der Neuerscheinungen zum mahler(i)schen Doppel­jubel­jahr dürften, um es gleich zu sagen, die „Orte seines Lebens“ zu den besten und bleibenden zählen. Indem Helmut Brenner und Reinhold Kubik dieses zu früh erloschene Dirigenten-, Komponisten-, Künstler- und Eheleben anhand von (historischen sowie aktuellen) Fotografien und Ansichtskarten, von Plakaten und Stadtplänen topografisch und chronologisch so minutiös wie nur möglich verankern, eröffnen sie dem Leser einen so noch nicht gekannten Einblick in Mahlers Welt. Neben reichen biografischen Details birgt der Band auch Erkenntnisse zur Wirtschafts-, Sozial- und Architekturgeschichte des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Die Abbildungen sind durchwegs in Schwarzweiß gehalten, was keinesfalls stört, sondern vielmehr zu einer angenehmen Einheitlichkeit führt und gerade bei der Architektur die Details deutlich macht.
Die erste Aufnahme, von Mahlers Geburtshaus Kalischt Nr. 9, ist bekannt. Sonst aber gibt es fast auf jeder Seite einen erfreulichen Zufallsfund. Ein Stadtplan von Iglau (1876) kennzeichnet Theater, Kaserne, Synagoge, den Ausschank des Vaters Bernhard, das Haus des Onkels David Mahler und die beiden Wohnadressen in der Pirnitzer Gasse, die auch abgebildet und ausführlich kommentiert werden. So geht das weiter, von Station zu Station. Aufenthaltsort um Aufenthaltsort wird durchmessen. Dabei fördern Kubik und Brenner eine Vielfalt an Fotos zutage, die nie zuvor veröffentlicht wurden. Beispielsweise – den heutigen Besitzern sei’s gedankt – das Interieur der Villa Schwarzenfels in Maiernigg am Wörthersee oder
das Hotel Hohenzollern in Westerland auf Sylt, wo Mahler im August 1891 nach „20 stündiger Fahrt – bis auf die Haut nass“ ankam, das herrliche Wetter genoss und tags drauf bei „Sturm und Regen“ eine Segelfahrt unternahm.
Man stößt auf das Gasthaus „Zur Rose“ in Olmütz, wo der zeitweilige Vegetarier Mahler „am Abend nach dem Theater zwei Glas Pilsener“ trank, findet eine Ansicht des Leipziger Marktplatzes, wo er im Restaurant „Baarmann“ den „köstlichen täglichen Mittagstisch“ genoss, und eine des Klublokals „Arion“ an der New Yorker Park Avenue. Dorthin hatte der „Vater all dieser Kinder“ die Philharmoniker nach den Aufführungen seiner Ersten geladen und blieb „bis tief in die Nacht“.
Ein Personenverzeichnis (grundsätzlich mit Lebensdaten) und ein Ortsregister (allein über 400 Einträge, von Abbazia bis Zwieselalm; die damaligen wie die heutigen Namen werden jeweils berücksichtigt) ermöglichen die genaue und schnelle Recherche. Idee und Wunsch der beiden Autoren, „den bislang nur marginal beachteten Forschungsbereich auf die gesamte Biografie Mahlers auszuweiten und eine Art Topografie seines Lebens zu schreiben“, haben sich aufs Schönste erfüllt. Dieses Buch ist ein Gewinn. Nicht nur Mahler-Freunden und Musikwissenschaftlern dringend zu empfehlen.
Jürgen Gräßer