Kuhnau, Johann

Magnificat

Urtext, hg. von David Erler, Partitur

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Pfefferkorn, Leipzig 2014
erschienen in: das Orchester 06/2015 , Seite 74

Die Musik von Johann Kuhnau, Bachs Vorgänger im Amt des Leipziger Thomaskantors, ist einer breiten musikalischen Öffentlichkeit nicht eben gut bekannt. Der 1660 geborene und 1722 gestorbene Musiker, der auch schriftstellerisch aktiv war, stand lange im Schatten seines gewaltigen Nachfolgers. Ja, er wurde in der Musikologie früh schon mit wenig schmeichelhaften Worten bedacht. Doch wie Michael Maul in seinem die Sachlage klärenden und deshalb gewichtigen Vorwort zur Magnificat-Ausgabe schreibt, kommt Kuhnau im Übergang vom Geistlichen Konzert des 17. Jahrhunderts zur spätbarocken Kirchenkantate eine  musikgeschichtlich nicht unwichtige Bedeutung zu.
Kuhnau muss ein gewaltiges kompositorisches Werk geschaffen haben. Von diesem ist freilich nur eine überschaubare Anzahl von Stücken überliefert. Zu diesen gehört eben auch jenes lateinische Magnificat, das vermutlich vor 1711 entstanden ist. Es diente wohl, ähnlich dem Magnificat von Johann Sebastian Bach, der Aufführung an hohen Festtagen, vor allem an Weihnachten und an den damals in der lutherischen Kirche noch begangenen Marienfesten.
Entsprechend festlich ist dieses Stück, das neben Streichern und zwei Oboen auch drei Trompeten und Pauken vorsieht. Wie später bei Bach, aber alles in kleinerem Maßstab, gibt es solistische Partien. Natürlich gibt es keine konkrete Beziehung zu Bachs Werk, aber in einigen Teilen kommt Kuhnau etwa in der Textausdeutung oder der Satzart zu nicht ganz unähnlichen Lösungen wie ungefähr zwölf Jahre später sein Nachfolger.
Die Beschäftigung mit Kuhnaus Musik lohnt sich also, und das keineswegs nur für den Musikwissenschaftler. Auch in der (kirchen)musikalischen Praxis wäre mehr Kuhnau wünschenswert. Da könnte die vorliegende Ausgabe des Magnificats gute Dienste leisten. Der Pfefferkorn-Verlag strebt die Erstausgabe ungedruckter Werke an bzw. die kritische Edition solcher, die nur in heutigen Ansprüchen nicht mehr genügenden Ausgaben vorliegen,. Geplant ist dabei in einem Kuhnau-Projekt die verdienstvolle Neuausgabe aller erhaltenen geistlichen Werke des vorbachischen Thomaskantors.
Von Kuhnaus Magnificat gab es bisher zwei Ausgaben, darunter eine der Kuhnau-Forscherin Evangeline Rimbach. Doch nach Aussage des Herausgebers David Erler habe ihr nur eine mäßige Reproduktion der einzigen Originalquelle aus der Berliner Staatsbibliothek vorgelegen. Das Ori-
ginal ist übrigens eine Abschrift des Kollegen Gottfried Heinrich Stölzel. Zwei Seiten der Neuausgabe zeigen im Faksimile, wie Stölzels Notentext aussieht. In seinem Kritischen Bericht weist Erler detailliert auf die veränderten Lesarten im Vergleich zur Rimbach-Edition hin. Überhaupt ist der Band sorgfältig ediert. Das Schriftbild ist gut lesbar, die Anlage der Partitur allemal praxistauglich und für heutige Aufführungen mühelos nutzbar.
Karl Georg Berg