Odeh-Tamimi, Samir

Madjnun II/Jabsurr/Ahinnu II/ Shira Shir/Philaki/Garten der Erkenntnis/Gdadròja

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Wergo WER 6582 2
erschienen in: das Orchester 02/2012 , Seite 76

Diese CD lässt aufhorchen. Nicht, weil sie exotisch das Ohr reizt. Auch nicht, weil sie mit politisierenden Texten schwanger geht. Sondern weil Komponist Samir Odeh-Tamimi musikalisch etwas zu sagen hat. Und dabei die ganz große Wirkung auch schon mal mit einem ganz kleinen Instrument erzielt: Madjnun II lässt eine einzige Blockflöte einem ganzen Män­nerchor virtuos Paroli bieten. Zugrunde liegt die uralte literarische Liebesgeschichte um Leilama und Madjnun, heute noch im persischen und arabischen Raum wohlbekannt. Die Blockflöte seufzt und singt, der Männerchor windet sich zwischen Herzschmerz und zarter Hoffnung. Das Booklet, aus wohlselektierten Infos, atmosphärisch dichten Zitaten und einer Prise Philosophie gewoben, versorgt den Musikfreund mit ausreichend Drumherum.
Odeh-Tamimi verwendet latent arabische und israelische Klangsprachen und hat sich so einen eigenen „Idiolekt“ geschaffen. Jabsurr (für Violoncello und Klavier) ist ein Kompendium der Cellotechnik. Vertrackt schwierig zeigt es sehr viele Facetten dieses Streichinst­ruments. Sehr hohe Töne und zickige Extremläufe gehören ebenso dazu wie langes Knarzen und heftiges Gebrüll. Ahinnu II basiert auf einem neueren palästinensischen Gedicht und ist mit Flöte, Oboe, Klarinette, Percussion und Streichtrio besetzt. Ein bisschen perkussive Hektik, von den Bläsern mit orientalisch anmutenden Tönen brillant verziert, schafft hier intensive Klangtexturen.
Shira Shir für Bariton und Orchester liegt ein erschütternder Text des in Auschwitz ermordeten Schriftstellers Jizchak Katzenelson zugrunde. Odeh-Tamimi, in Israel geborener Palästinenser, hat ergreifende Musik dazu komponiert. Dem Ohr alles andere als angenehm zeichnet er eine grauenhafte Vision des Holocaust. Philaki für sieben Instrumente besteht aus angedeuteten melodischen Verläufen und schroffen Texturen. Ein Spielplatz für Sounds und Abläufe, mit Mut zum Beharren auf musikalischen Ideen.
Garten der Erkenntnis (für sechs Stimmen und zwei Posaunen) vertont ein altes, mystisches persisches Gedicht. Die Sänger greifen zur Rahmentrommel, und so entsteht eine archaische, an Rituale einer traumhaften Vorzeit erinnernde Musik. Gdadròja (für Kammerorchester und drei Soprane) hat Odeh-Tamimi aus den Städtenamen Bagdad und Troja zusammengesetzt: zwei Synonyme für Krieg, zusammengeschmolzen zu einem einzigen musikalischen Aufschrei.
Auch dank der allesamt hervorragend agierenden Musiker ist diese CD sehr hörenswert. Keine leichte Kost, keine Ethno-Wellness mit neuen Spiel­techniken – stattdessen ein akustischer Hammer mit viel guter Musik.
Heike Eickhoff