Kurt Hessenberg

Lukas-Passion

Passionsmusik nach dem Evangelisten Lukas op. 103 für Soli (MezTB), gemischten Chor (SATB) und Orchester Dirigierpartitur/Klavierauszug

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Schott Music, Mainz
erschienen in: das Orchester 9/2024 , Seite 67

Fast wie ein Mantra wird die Bedeutung Kurt Hessenbergs immer wieder und mit den gleichen Worten vorgetragen: „Heute gilt Hessenberg als einer der wichtigsten Vertreter der Evangelischen Kirchenmusik im 20. Jahrhundert.“ Hessenbergs ikonische Motette O Herr, mache mich zum Werkzeug deines Friedens (op 37/1) entstand im Jahr 1946 und ist bis heute Hessenbergs bekanntestes Werk, das zum festen Repertoire der Thomaner und Crucianer gehört, aber auch von ambitionierten Laienchören gerne gesungen wird.
Doch wer war Kurt Hessenberg? Vor 1945 reüssierte Hessenberg, der seit 1933 als Theorielehrer am Dr. Hoch’s Konservatorium in Frankfurt unterrichtete, vor allem mit sinfonischen Werken. Am 2. Februar 1942 beantragte er die Aufnahme in die NSDAP, die zum 1. April desselben Jahres auch erfolgte. In der Endphase des Zweiten Weltkriegs wurde er auf die so genannte „Gottbegnadeten-Liste“ des „Führers“ gesetzt, was ihn vor einem Kriegseinsatz bewahrte. Höhepunkt der Karriere: Im Berliner Admiralspalast lässt Wilhelm Furtwängler neben Beethoven und Brahms die 2. Sinfonie von Kurt Hessenberg auf die Pulte seiner Philharmoniker zur Uraufführung legen.
Nach dem Krieg wandte sich Hessenberg (nun als Professor für Komposition an der Frankfurter Musikhochschule) dann verstärkt der Komposition evangelischer Kirchenmusik zu. Und das ist bemerkenswert: War das ein veritabler Ausweg aus der von Theodor Adorno intonierten Philosophie der neuen Musik? Vielleicht kann man das im Nachhinein so sehen: die Erneuerung der evangelischen Kirchenmusik als möglichen Ort, sich der musikalischen Avantgarde entziehen zu können. Kirchenmusik als Rückzugsort, als verbleibende Klanginsel im weiten Meer der Moderne?
Die vorliegende, 1978 von Helmuth Rilling, der Frankfurter Bachkantorei und dem Bach-Collegium Frankfurt uraufgeführte Passionsmusik nach dem Evangelisten Lukas opus 103 zählt mit Sicherheit zu den bedeutendsten Werken Hessenbergs. Das großformatige, opulente Werk ist in fünf Teile gegliedert, durch die der von einem Bariton (!) besetzte Evangelist als Erzähler führt, teils solistisch, teils vom Streicherapparat begleitet. Gleich zu Beginn durchmisst ein Englischhorn, gefolgt vom Fagott und zwei Oboen, mit einem weit ausgreifenden Soggetto einen tonalen Raum, der kontrapunktisch bei aller Strenge äußerst elegant geformt wird. Hessenbergs vokaler Satz lebt von seinem herben melodischen Reiz und einer konzentriert rhythmischen Prägnanz. Die Edition (Dirigierpartitur und Klavierauszug) ist ohne Einschränkung vorbildlich zu nennen.
Martin Hoffmann