Lübeck feiert Buxtehude

Das Hörbuch: Stadtgeschichte – Lebensgeschichte. Königinnen oder Die 7 Rätsel des Dieterich B.

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Silberfuchs, Kayhude 2006
erschienen in: das Orchester 06/2007 , Seite 73

Lübeck, Thomas Manns „siebengetürmte“ Stadt, darf sich vieler Vorzüge rühmen. Dass die einstige Königin der Hanse auch als Musikstadt gilt, verdankt sie vornehmlich der Klangkunst ihrer Organisten und Kantoren – von Franz Tunder über die Musikerfamilie Kunzen bis zu Hugo Distler und Walter Kraft. Eine Künstlerpersönlichkeit überstrahlt sie alle: Dieterich Buxtehude (die Forschung besteht neuerdings auf dieser Variante des Vornamens). „Berühmt im Componieren, / Auf Chören, Orgeln und Claviren“, reimt ein Lobgedicht 1685. Ein Lübecker Stadtführer nennt ihn 1697 – gleichfalls zu seinen Lebzeiten (1637-1707) – einen „Welt-berühmten Organisten und Komponisten“.
Seinen musikalischen Zeitgenossen war klar: Lübeck ist eine Bildungsreise wert – allein schon wegen der berühmten Abendmusiken an St. Marien. 1705, im 37. Jahr seines Wirkens als komponierender Organist an der doppelt getürmten Kirche der Kaufmannschaft, bekam Buxtehude Besuch aus dem thüringischen Arnstadt. Ein 20-jähriger Organist namens Johann Sebastian Bach wanderte 450 Fußkilometer, „um daselbst ein und anderes in seiner Kunst zu begreiffen“. Dass er seinen Urlaub kräftig überzog, obwohl ihm beim Anblick der Tochter Buxtehudes die Lust vergangen sein mochte, sich um dessen Amtsnachfolge zu bewerben (was die Heirat der nicht mehr ganz jungen Frau vorausgesetzt hätte), beweist mehr als manch gelehrte Abhandlung: Beim alten Buxtehude war für den jungen Bach des Lernens kein Ende.
Das sollten die Arnstädter nach Bachs Heimkehr zu spüren bekommen. Vor dem Konsistorium führten sie Klage, er habe „in dem Choral viele wunderliche Variationes gemachet“ und „viele frembde Thone mit eingemischet“. Bach, von Buxtehude aufgeputscht: ein Störenfried des thüringischen Gemeindegesangs! Wohlweislich illustrierte der Hamburger Musiktheoretiker Johann Mattheson, der Buxtehude 1703 gemeinsam mit dem jungen Händel in Lübeck besucht hatte, den von Athanasius Kircher geprägten Begriff des „phantastischen Stils“ mit einem Präludium des Meisters.
Dieterich Buxtehude, dessen Vorfahren vermutlich aus dem Städtchen Buxtehude (Kreis Stade) stammten, 1637 als Organistensohn in Oldesloe oder Helsingborg geboren, wo er jedenfalls aufwuchs, 1660 an die Marienkirche in Helsingør und 1668 an die Lübecker Marienkirche berufen: ein Leuchtturm deutsch-dänischer Musikkultur an Ostsee, Belten und Sund. Eben dort – genauer: am Nadelöhr des Sunds, bei der Zollstation Kronborg, von Frederik II. 1574 bis 1585 zum vierflügeligen Renaissanceschloss ausgebaut (ebenda entfährt Shakespeares Hamlet das geflügelte Wort „To be or not to be…“) – lässt die Hamburger Funkautorin Corinna Hesse ihr ebenso lehrreiches wie kurzweiliges Hörbuch zum 300. Todesjahr des Barockkomponisten beginnen: 80 spannende Minuten, geschickt „komponiert“ aus Textblöcken (gesprochen von dem feinhörigen Schauspieler Christoph Bantzer) und Musikzuspielungen, denen man unermüdlich lauscht, sorgt doch die Dramaturgie der „sieben Rätsel“ – von der Geburt bis zur Vereinbarkeit von Frömmigkeit und Lebenslust – für ungeteilte Aufmerksamkeit. Zwischen Vor- und Nachspiel entfaltet sich ein geist- und facettenreiches Mosaik aus Stadt-, Lebens- und Musikkulturgeschichte, das sich ohne Prügel en suite anhören, aber auch problemlos unterbrechen und etwa an anderer Track-Stelle weiterhören lässt. Unentbehrlich als Vademekum zum ereignisreichen Lübecker Buxtehude-Festjahr 2007, zu dem rund 20 Kulturinstitutionen der Hansestadt beitragen (www.buxtehude2007.de).
Lutz Lesle