Ludwig von Beethoven

ViolinkonzertD-dur op. 61

Gidon-Kremer-Edition, mit bezeichneter und unbezeichneter Violinstimme, hg. von Shin Augustinus Kojima, Fingersatz, Strichbezeichnung und Essay: Gidon Kremer, Kadenz: Victor Kissine, 2 Bände im Schuber

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Henle
erschienen in: das Orchester 04/2018 , Seite 61

Seitdem Gidon Kremer erstmals bei seinem Münchner Konzert 1975 im Westen auftrat, fesselte er das Publikum durch ein Musizieren, welches das Zusammenspiel mit dem Orchester oder Kammermusikpartnern, die Abkehr vom Starrummel, eine lebendige Beschäftigung mit der Musiktradition und vor allem die Entdeckung der Neuen Musik in den Mittelpunkt stellt.
Die zu seinem 70. Geburtstag vom Henle-Verlag veröffentlichte Ausgabe des Violinkonzerts von Beethoven spiegelt facettenreich und profund die Tiefe und Bedeutung seiner Künstlerschaft. Diese Ausgabe besteht aus einer „normalen“ Urtextausgabe (Klavierauszug und unbezeichnete Stimme der Solovioline) und einem zweiten Band mit der Violinstimme, die von Kremer mit Fingersätzen und Strichbezeichnungen versehen wurde, mit seinem Essay „Searching for Ludwig“ und mit der von Victor Kissine komponierten Kadenz zum 1. Satz, die als Partitur, Klavierauszug und Stimmsatz mitgeliefert wird.
In seinem Essay betont Gidon Kremer, wie wichtig ihm Freiheit und ein persönlicher Zugang sind. Er betrachtet Fingersätze und Strichbezeichnungen nicht als fest gemeißelt, sondern hat sie im Verlauf seiner Karriere immer wieder geändert. Die Fingersätze erlauben hier einen Einblick in die Werkstatt des hoch virtuosen Geigers aus der Schule Igor Oistrachs. Bei den Strichbezeichnungen fällt auf, dass sich Kremer zum einen eng an den Urtext hält, zum anderen ihm Details der Betonung und Artikulation wichtig sind. Als Brücke von Beethoven zu unserer Zeit setzt sich Kremer beim 1. Satz für die Kadenz von Victor Kissine ein, die eigens für diese Edition komponiert wurde. In den weiteren Sätzen schlägt Gidon Kremer von ihm selbst komponierte Kadenzen vor, wobei die zweite Kadenz im Rondo ein Ausschnitt aus Joseph Joachims Kadenz zum 2. Satz ist. Kremers Essay „Searching for Ludwig“ kann als eine Art Vermächtnis des großen Geigers gelesen werden. Anhand eines höchst aufschlussreichen Vergleichs von zehn Einspielungen des Violinkonzerts u.a. von Szigeti, Hubermann, Heifetz, Menuhin und Francescatti denkt er über zentrale Fragen der Kunst der musikalischen Interpretation nach: die Partnerschaft zwischen Solist und Orchester, die Wahl des Tempos, die Bedeutung von Details bei der Artikulation, die Funktion der Kadenz, die Rolle von Authentizität und Persönlichkeit und vieles mehr.
Dabei wird deutlich, wie kritisch er dem heutigen Musikbetrieb mit seiner Tendenz zu äußerlicher Perfektion und Medienrummel gegenübersteht und mit welcher Demut und Selbstkritik er sich seiner Kunst verschrieben hat. Auch wenn dieser Text hier nur auf Englisch veröffentlicht wird: Jeder, der Beethovens Violinkonzert spielen, hören oder verstehen will, sollte ihn lesen!
Franzpeter Messmer

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