Hodges, Sheila

Lorenzo da Ponte

Ein abenteuerliches Leben

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Bärenreiter, Kassel 2005
erschienen in: das Orchester 04/2006 , Seite 83

Sein Name ist eng mit dem Mozarts verknüpft, für den er drei Libretti (Die Hochzeit des Figaro, Così fan tutte, Don Giovanni) schrieb, die eine herausragende Stellung innerhalb der Geschichte des Musiktheaters einnehmen. Aber was weiß man sonst schon über Lorenzo da Ponte? Wer hätte auch nur geahnt, dass seine Biografie einem wüsten Abenteuerroman gleichen und den idealen Stoff für einen ambitionierten Kostümfilm bieten würde – mit einer Fülle an verrückten Liebesabenteuern, Skandalen, ruhmreichen Aufstiegen und Lebenskrisen?
Die britische Autorin Sheila Hodges porträtiert – weitgehend orientiert an Da Pontes Memoiren – einen vielseitig begabten Künstler, der eine Schwäche für schöne Frauen hatte, wie Casanova, mit dem er befreundet war, zudem als leidenschaftlicher Spieler und schlechter Geschäftsmann stets Geldsorgen hatte. Trotz bitterster Enttäuschungen, Abstürzen, Degradierungen und Existenznöten muss er gleichwohl einen unbezwingbaren Lebenswillen besessen haben.
Als Da Ponte und Mozart sich zwischen 1783 und 1785 in Wien begegneten und ihre erste gemeinsame Oper Die Hochzeit des Figaro in Angriff nahmen, war der Italiener bereits fest etabliert am kaiserlichen Hof Josephs II., an den ihn wiederum Salieri empfohlen hatte. Zu dieser Zeit hatte Da Ponte, der seinen Sinn für die Dichtkunst schon früher entdeckte, als er sich zum Priester ausbilden ließ, bereits diverse Libretti geschrieben für Salieri und andere heute kaum noch bekannte Komponisten wie den Spanier Martin y Soler oder Peter von Winter. Wahrscheinlich wäre der Figaro sogar nie zustande gekommen, wenn sich nicht der Librettist nachdrücklich beim Kaiser für dieses umstrittene Projekt stark gemacht hätte und ihm versicherte, er würde schon alles weglassen und kürzen, was den guten Anstand und Geschmack verletzen könnte. Das alles erläutert die Autorin mit hilfreichen Analysen und Hintergrundinformationen zu komplizierten Machenschaften und Intrigen am Wiener Burgtheater, die schließlich auch den Textdichter selbst zu Fall brachten.
In welcher Weise Mozart und Da Ponte zusammenarbeiteten, darüber sei allerdings fast nichts bekannt, konstatiert die Biografin, die allemal profund recherchiert hat und auf Widersprüche zwischen Mozarts und Da Pontes Ansprüchen stößt, denn in allen wichtigen Punkten hält sich der Librettist nicht an die nachdrücklichen Vorgaben des Komponisten. „Desto kommischer die Welsche opera ist, desto besser“, so lautete Mozarts Überzeugung, während Da Ponte letztlich doch besser beraten war, auf Stimmungswechsel zu setzen, dank derer wir das Gefühl haben, menschliche Wesen im Kampf mit ihren Emotionen zu erleben. Hatte Mozart seine Meinung geändert oder war er überzeugt von Da Pontes Geschick und Urteilskraft? Zusammen waren die beiden jedenfalls stark und so resümiert auch der Textdichter, Così, Figaro und Don Giovanni seien „die einzigen Werke, die triumphal für sich in Anspruch nehmen können: Wir sind unsterblich“.
Da Ponte hat das Salzburger Genie um mehrere Jahrzehnte überlebt, in denen er im Zuge übler Intrigen aus Wien verbannt werden sollte, auf den Rat Casanovas hin nach London ging, wo er am King’s Theatre Texte kürzte und bearbeitete, die deutschstämmige Jüdin Nancy Grahl heiratete, mit der er mehrere Kinder hatte, und Jahre später – hoch verschuldet – nach Amerika auswanderte, sich zunächst in Sunbury und Philadelphia als Geschäftsmann verdingte, und seine letzten Jahre in New York verbrachte, wo er mit italienischen Büchern handelte, Prosa und Gedichte verfasste, Italienisch unterrichtete und 1883 starb.
Sheila Hodges und ihr deutscher Übersetzer Ulrich Walberer schildern sein in jeder Hinsicht bewegtes Leben lebendig, packend und authentisch mit vielen Exzerpten und Zitaten aus Da Pontes eigener Feder. Somit ist das Buch nicht nur eine Pflichtlektüre für Mozartianer. Vielmehr gilt es hier eine der faszinierendsten und schillerndsten eigenständigen Persönlichkeiten des ausgehenden 18. Jahrhunderts zu entdecken.
Kirsten Liese