Wigglesworth, Ryan

Locke’s Theatre

for Orchestra (2013), Studienpartitur

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, London 2016
erschienen in: das Orchester 07-08/2017 , Seite 64

Ryan Wigglesworth schrieb die Bühnenmusik Locke’s Theatre für Orchester für Aldeburgh Music und das BBC Symphony Orchestra anlässlich des 100. Geburtstags von Benjamin Britten im Jahr 2013. Am 8. März 2015 fand in Köln die deutsche Erstaufführung unter dem Dirigat des Komponisten mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen und der Jungen Deutschen Philharmonie statt. Seither ist Wigglesworths Klangfeuerwerk für große Orchesterbesetzung und vier Percussionisten etwa weitere ein Dutzend Male unter anderem in Schottland, Cleveland, Stockholm und Berlin zur Aufführung gekommen. Die Grundlage für die Komposition lieferte der englische Barockkomponist Matthew Locke. Er komponierte die Bühnenmusik 1667 zu Shakespeares Schauspiel Der Sturm.
Ryan Wigglesworth, geboren 1979 in Yorkshire, hat am New College in Oxford und an der Guildhall School of Music and Drama studiert, war Dozent an der Cambridge University und gehört zu den erfolgreichsten Dirigenten und Komponisten seiner Generation. Er arbeitete mit führenden britischen Orchestern und dirigierte für die English National Opera zahlreiche Aufführungen unterschiedlicher Stilrichtungen.
„Locke hat eine unglaublich dramatische Bühnenmusik für Shakespeares Der Sturm geschrieben, die alle zeitgenössischen Regeln über Harmonie und Melodieführung verletzt. Die Musik hat eine enorme Direktheit, da gibt es nichts mehr zwischen der Idee und dem dramatischen Effekt. Das ist mir unter die Haut gegangen… In jedem der drei Sätze meines Werkes ist das barocke Original dauernd und zugleich schattenhaft präsent, wenngleich sehr oft gleichsam verschüttet“, so der Komponist selbst über seine Version.
Zu Beginn tauchen die Streicher unisono auf d im Pianissimo zaghaft wie aus dichtem Nebel an die Oberfläche, um sich nach einem Harfensignal ins dreifache Fortissimo aufzuschwingen, einige Kapriolen mit den Bläsern zu schlagen, und zurückzusinken in ein kaum hörbares Flirren auf dem E3.
Chaotisch, wild und ungestüm geht es im nächsten Satz weiter, bis die Triangel den Umschwung einleitet und perkussive Elemente das Klappern von Hufen, Schwertern und aneinander krachenden Degen imitieren. Die Blechbläser rufen zur Raison, dazwischen immer wieder das gespenstische Vibrieren des E3 der Violinen. Es folgt ein Largoteil, der klanglich an Mahlers Ich bin der Welt abhanden gekommen bzw. an Teile der Kindertotenlieder erinnert. Nach einem Beinahe-Stillstand lockt die Flöte mit verträumter Elegie das gesamte Instrumentarium abermals an, das nach einem Trommelwirbel schier zu explodieren droht. Subitofortepiani crescendieren in rasender Eile, Schlägen gleich, zu dreifachem Fortissimo, um wieder zu verebben, die tiefen Bässe raunen ein letztes tiefes d – nach 17 Minuten ist der Spuk, reich an musikalischen Einfällen und unerwarteten Pointen, vorüber.
Kathrin Feldmann