Holzapfel, Otto

Liedverzeichnis

Die ältere deutschsprachige, populäre Liedüberlieferung, 2 Bände, mit einer CD-ROM

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Georg Olms, Hildesheim 2006
erschienen in: das Orchester 02/2007 , Seite 83

Der Titel dieses bibliografischen Schwergewichts gibt sich eigentlich zu bescheiden: Die meisten Nachweise dokumentieren zwar ein Repertoire, das aus einer oft nicht genau bestimmbaren Vorzeit stammt und bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts reicht, aber wiederholt ist es auch neueren Datums wie zum Beispiel die „Musik-Ikone“ der Nazis – das berüchtigte Horst-Wessel-Lied –, die Nationalhymne der DDR (Auferstanden aus Ruinen) oder der durch Marlene Dietrich populär gewordene und von der Hippiebewegung vereinnahmte Song Sag mir, wo die Blumen sind.
Doch nicht nur die Textverfasser und Komponisten dieser verhältnismäßig modernen Stücke sind bekannt, sondern erstaunlich oft auch die Autoren der älteren „Volkslieder“: Neben vielen kaum mehr geläufigen Namen stößt man dabei auf zahlreiche „Heroen“ der deutschen Kulturgeschichte wie z.B. Joseph von Eichendorff (In einem kühlen Grunde), Johann Wolfgang Goethe (Nur wer die Sehnsucht kennt), Friedrich Schiller („Freude, schöner Götterfunken“) oder Ludwig Uhland (Droben stehet die Kapelle) auf der literarischen, Ludwig van Beethoven, Franz Schubert oder Friedrich Silcher auf der musikalischen Seite.
Weil Liedtitel andauernd wechseln und deshalb nicht aussagekräftig sind, hat Holzapfel die Einträge alphabetisch nach den Textincipits geordnet. Auf die häufig identifizierbaren Urheber folgt ein Fundortverzeichnis (hier in erster Linie die bedeutenden historischen Sammlungen wie das Mildheimische Liederbuch), und immer wieder gibt es noch Wissenswertes zur Wirkungsgeschichte zu berichten; dabei sind die komischen oder zeitkritischen Parodien besonders interessant, die mitunter auch eine etwas zweifelhafte Popularität entwickeln können – etwa bei Sarastros „Hallen-Arie“ aus Mozarts Zauberflöte, wenn sie derb karikiert und unvermutet als Latrinen-Poesie auftaucht: „In diesen heil’gen Hallen, wo kein Vogel singt, da lässt der Mensch was fallen, was ganz entsetzlich stinkt“.
Grundlage des üppigen Verzeichnisses ist offenbar eine Datenbank, deren Inhalt für eine lesefreundliche Buchausgabe jedoch sorgfältig bearbeitet werden muss – und hier hätte man sich gerade wegen des enormen Gehalts etwas mehr Aufwand gewünscht: Umfangreiche und umständliche Erklärungen, die bei einer übersichtlichen Strukturierung der Nachweise wesentlich knapper ausfallen könnten, erschweren den Zugang. Wegen des ohnehin gewaltigen Umfangs hat man wohl auf Dichter- und Komponistenregister verzichtet – doch so ist es leider unmöglich, sich über die Popularität bestimmter Autoren zu orientieren oder gezielt nach ihnen zu suchen. Die beiliegende CD-ROM, die das geeignete Medium für schnelle Recherchen gewesen wäre, bietet dafür auch keinen Ersatz – sie enthält u.a. Musikbeispiele und Bilder sowie das unhandlich in Teildateien gesplittete Verzeichnis im Volltext. Gleichwohl handelt es sich um ein Handbuch mit einer geradezu unerschöpflichen Informationsfülle, die von einer langjährigen und unermüdlichen Arbeit zeugt.
Georg Günther