Härtling, Peter

Liebste Fenchel!

Das Leben der Fanny Hensel-Mendelssohn in Etüden und Intermezzi

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Kiepenheuer & Witsch, Köln 2011
erschienen in: das Orchester 11/2011 , Seite 64

Wer sich bereits mit Fanny Hensel, ihrem Leben, Werk und Wirken beschäftigt hat und zu diesem Zweck Bücher z.B. von Françoise Tillard, Ute Büchter-Römer, Beatrix Borchard oder Monika Schwarz-Danuser
gelesen hat, benötigt den Band von Peter Härtling nicht.
Es soll hier ein kleiner Ausschnitt wiedergegeben werden, als Kostprobe des Stils des Romanciers. Dieser Abschnitt gab dem Buch auch den Titel: „Wenn ihn [Felix] das Bauchweh plagt, brüht Mutter Fencheltee auf. Den muss Fanny ihrem Bruder servieren: Hier kommt dein Fencheltee.
Sie saugen beide den duftenden Dampf durch die Nase: Fenchel! Einmal brachte Felix, wie oft, alles durcheinander: Da bringst du mir ja meinen Tee, Fenchel. Fenchel, das hört sich an wie Fanny, die duftet. Fenchelfanny. Fannyfenchel.“
Peter Härtling hat sich auf Fanny Hensel eingelassen, er hat ihre Musik, ihre Briefe, ihr Umfeld, ihren Zeitgeist und ihre Mitmenschen, ihren Bruder, ihre anderen Geschwister, ihren Ehemann und was von ihnen überliefert ist auf sich wirken lassen und sich eigene Bilder dazu ausgedacht. Er lässt den Leser immer wieder teilhaben, wie es ihm als Autor und Kenner ihres ganzen Lebens beim Niederschreiben ergangen ist. Dieser gelegentliche Perspektivwechsel lockert die teilweise konkreten bis minutiösen Schilderungen von Fanny Hensels Alltag angenehm auf.
In lockerer Form sind 48 Etüden und Intermezzi (Letztere teilweise nur zwei bis drei Seiten lang) aneinandergereiht. Sie folgen einzelnen Stationen und Schwerpunkten in ihrem Leben und tragen damit zur leichten Lesbarkeit des Bandes bei. Im „Intermezzo mit Hochwasser“ zum Beispiel wird anschaulich deutlich, wie beschwerlich das Reisen zur damaligen Zeit war: Die Details sind selbstverständlich ausgedacht, die beschriebene Stimmung vom Autor erfühlt – wahr ist dennoch alles. Und das ist Härtlings Stärke: Er schafft es einmal wieder, aus einem bereits bekannten Stoff lesenswerte Literatur zu formen.
Wer also die eingangs genannten Autorinnen noch nicht kennt und gerne auf anschauliche, literarisch ansprechende, abwechslungsreiche Art die berühmte Musikerin und Komponistin kennen lernen will, kann durchaus zu Peter Härtlings neuem Buch greifen. Es fügt sich wunderbar in die Reihe seiner poetischen Rekonstruktionen von Künstlerbiografien der Romantik wie der von Schubert, Schumann, Hölderlin oder E.T.A. Hoffmann ein.
Viola Karl