Amon, Reinhard

Lexikon der musikalischen Form

Nachschlagewerk und Fachbuch über Form und Formung der Musik vom Mittelalter bis zur Gegenwart

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Doblinger, Wien 2011
erschienen in: das Orchester 01/2012 , Seite 58

Angesichts der Universalität im Ansatz, der Fülle des Stoffs, der differenzierten Sichtweise auf eine vielschichtig exponierte Materie und der hervorragend strukturierten Darstellung wirkt der Titel dieses ausgezeichneten Buchs eher zu bescheiden. Reinhard Amon (in Zusammenarbeit mit Gerold Gruber) spricht im Vorwort von der „Einzigartigkeit des jeweiligen Stücks“, von der musikalischen Schönheit, die es als „Phänomen höchster Komplexität… aus ihrem Inneren heraus zu verstehen“ gelte. Form sei (und ist in der Tat) nichts Schematisches; sie „erklärt etwas Lebendiges – die erklingende Musik selbst“. Daher bilde „die Zusammenschau der Möglichkeiten aus der Summe innerer Formungskräfte den zentralen Inhalt der vorliegenden Darstellungen.“
Das anspruchsvolle Programm wird ohne Abstriche umgesetzt. 422 Seiten bilden einen ersten „lexikalischen Teil“, der viel mehr bietet, als es die Überschrift vermuten lässt. Die über 1000 Artikel führen mit Stich-
worten zu Gattungen, Spielanweisungen, Kompositionstechniken, Gestalt- und Ordnungsfragen, außermusikalischen Bezügen, Stil- und Epochenmerkmalen, philosophischen und gesellschaftlichen Aspekten über die Formbeschreibung im engeren Sinne weit hinaus, ohne die zentrale Thematik aus den Augen zu verlieren. Ein zweiter Teil erläutert auf 132 Seiten grundlegende Gesichtspunkte der Formung: Bauprinzipien, Definitionsansätze, Harmonik, Melodik, Rhythmik, auch in der Popularmusik und im Jazz, architektonische und mathematische Analogien, Strukturen und ihre Verkettung von der Großgliederung bis zum kleinsten Impuls („Form im Nanobereich“), Verbindungen zur Gestaltpsychologie, Musterbildungen, etablierte Formelemente (Motiv, Phrase, Periode, Satz usw.), Symbolik, Symmetrie, Wahrnehmung der Form und das „Zeitphänomen musikalischer Formen“. Ein ausführlicher Anhang enthält Tabellen, eine
– wohltuend offene – Analyseanleitung, Verzeichnisse, Register und Quellenangaben.
Hervorzuheben ist auch der Stil der Veröffentlichung, der trotz angemessener Sachlichkeit und Klarheit angenehm lesbar bleibt und lexikalische Verkürzungen vermeidet. Alternative Zugangswege, kontrastierende Gedanken, konstruktive Widersprüche und historische Differenzierungen vertiefen und erweitern die Präsentation der Phänomene und lassen mit Hilfe und aus dem integralen Kontext der lexikalischen Informationen ein umfassendes Gesamtbild entstehen.
Eine Fülle von treffenden Notenbeispielen, farbigen Diagrammen, Gestaltbildern und Fotografien macht die Beschäftigung mit dem Gegenstand anschaulich und nicht selten geradezu kurzweilig. Das Layout überzeugt durch Überschriften, Verweise und Merkbegriffe am Rand mit zahlreichen Literaturangaben. Musikern, Musiklehrern und Studierenden aller musikalischen Fachrichtungen kann man das Buch wärmstens empfehlen.
Peter Schnaus