Koechlin, Charles
Les Heures persanes op. 65
Die jüngste CD einer Reihe mit Werken von Charles Koechlin, die Heinz Holliger mit dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR eingespielt hat, ist einem einzigen Werk gewidmet: Les Heures persanes op. 65. Angeregt durch literarische Reiseberichte über Persien von Pierre Loti und Joseph Arthur Comte de Gobineau sowie durch Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht entstand die Komposition zwischen 1913 und 1919 zunächst als 16-teiliger Klavierzyklus und wurde 1921 in kürzester Zeit orchestriert.
Koechlin ist bekannt dafür, ein Meister der Orchesterbehandlung zu sein, sodass sogar andere Komponisten von Claude Debussy bis Cole Porter auf seine Orchestrierungskunst zurückgriffen. Und doch ist man auch bei den Heures persanes aufs Neue überrascht und bezaubert von Koechlins Instrumentierung, welche die Abstufungen der Farbvaleurs zum strukturierenden Element des musikalischen Satzes macht, hinter dem die Themen- und Motiventwicklung zurückbleibt. In Klängen von erlesener, entrückter Schönheit zeichnet Koechlin Stimmungsbilder, Impressionen einer Traumreise in ein entferntes Land, das Persien heißen mag, aber auf keiner Landkarte zu finden ist. Spektakulär Folkloristisches oder Exotisches meidet Koechlin, und trotzdem oder gerade deshalb klingt seine Musik fremd. Nur an wenigen Stellen wird die Musik der Heures persanes lebhaft oder laut (À travers les rues), meist bewegt sie sich im Bereich einer träumerischen Poesie; charakteristischerweise sind denn auch gleich drei Stücke des Zyklus der Beschreibung des Mondlichts gewidmet.
Bereits wenige Jahre nach Koechlins Tod im Jahr 1950 beklagte Paul Collaer: Dieser hervorragende Komponist, der in der vordersten Linie stehen sollte, nimmt heute nicht den Platz ein, der ihm zukommt. An diesem Sachverhalt hat sich auch fünfzig Jahre später wenig geändert. Dabei wirkt Koechlins im besten Sinne eigenartige Tonsprache durchaus modern, etwa in der frei gehandhabten Tonalität bis hin zur Polytonalität oder wie in den Heures persanes in einer Versenkung fordernden meditativen Statik.
Man möchte wünschen, dass die Aufnahmen Heinz Holligers mit dem RSO Stuttgart die Neuentdeckung Koechlins endlich befördern. Denn Holliger mit seinem Gespür und Verständnis für die Sensualität von Klängen, dem mit dem RSO Stuttgart auch ein adäquater Partner zur Seite steht, vermag den Nuancenreichtum der Heures persanes darzustellen, zu gestalten, zum Leuchten zu bringen. Gerade die Pianobereiche lotet die Wiedergabe mit großer Feinheit aus: Bewundernswert, wie sich der Beginn aus dem äußersten Pianissimo heraus aufbaut wie ein Traum, der sich langsam materialisiert. Bewundernswert auch, wie über die knapp einstündige Dauer des gesamten Werks die Spannung gehalten, die Gefahr des Überdrusses gebannt wird. Das gelingt dank einer fast kammermusikalischen Transparenz der Interpretation, die den Stimmungsbildern der Heures persanes eine räumliche Dimension Hintergrund und Tiefe verleiht.
Gisela Maria Schubert