Salieri, Antonio

Les Danaïdes

Judith van Wanroij (Sopran), Philippe Talbot (Tenor), Tassis Christoyannis (Bass), Katia Velletaz (Sopran), Thomas Dolié (Bariton), Les Chantres du Centre de musique baroque de Versailles, Les Talens Lyriques, Ltg. Christophe Rousset

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Ediciones Singulares ES 1019
erschienen in: das Orchester 12/2015 , Seite 78

Sowohl um das Libretto als auch die Komposition von Les Danaïdes gab es im Vorfeld der Uraufführung am 26. April 1784 in Paris Irrungen und Wirrungen. Ranieri di Calzabigi sandte 1778 sein Libretto in italienischer Sprache an Christoph Willibald Gluck in der Erwartung, er würde nach dieser Vorlage eine Oper komponieren. Es kam jedoch ganz anders. Gluck gab insgeheim bei François Baillet Du Roullet und Louis Théodore Baron de Tschudi eine französische Übersetzung in Auftrag, nach der dann die Oper auch komponiert wurde, jedoch nicht von Gluck selbst, sondern von dessen damaligem Schüler Antonio Salieri. Dennoch firmierte das Werk bei der Uraufführung noch unter dem Namen Glucks, auf dem Programmzettel war lediglich eine Mitarbeit Salieris verzeichnet. Die Präsentation der Danaïden unter dem Namen eines in Paris wenig bekannten Komponisten hätte wohl keinen Erfolg erwarten lassen. Als Gluck nach der erfolgreichen Uraufführung das Geheimnis lüftete und Salieri als den Komponisten des Werks bekanntgab, konnte dessen Talent nicht geleugnet werden.
In die Form einer fünfaktigen Tragédie lyrique wird die Geschichte der fünfzig Töchter des Danaus gefasst, die auf dessen Geheiß ihre Ehemänner, allesamt Söhne des Zwillingsbruders Egyptus, in der Hochzeitsnacht erdolchen sollen. Die Massenhochzeit war ursprünglich als Besiegelung des Friedens zwischen den einst verfeindeten Teilen der Familie gedacht gewesen. Nur die älteste Tochter Hypermnestra verweigert aus Liebe zu ihrem Mann ihrem Vater den Gehorsam. Es entwickelt sich eine schauerliche Geschichte mit Toten auf beiden Seiten, göttliche Mächte greifen ein mit den entsprechenden, auf der Bühne und auch musikalisch publikumswirksam inszenierten Extremereignissen.
Die Musik orientiert sich am französischen Opernstil Glucks mit zahlreichen Balletten und Chören, dennoch scheint an vielen Stellen italienische Kantabilität durch. Christophe Rousset zelebriert diese Oper vital und klangschön, die Solisten arbeiten die Dramatik hervorragend heraus, allen voran Judith van Wanroij als Hypermnestra mit ihrem strahlenden Sopran. Der Tenor Philippe Talbot als Lycee und der Bariton Tassis Christoyannis als Danaus können mit diesem Niveau durchaus mithalten, indem sie ihrer jeweiligen Rolle entsprechend überzeugend agieren. Bei der Einspielung handelt es sich um einen Zusammenschnitt aus Aufführungen in Metz 2013. Der CD-Produktion ist beigefügt ein umfangreiches Programmbuch in limitierter Auflage, das neben dem Text wissenschaftliche Beiträge zum Hintergrund der Oper in französischer Sprache mit englischer Übersetzung enthält.
Les Danaïdes beweist, dass es sich bei Opernkompositionen Salieris – er schrieb immerhin vierzig davon – nicht in jedem Fall um musikhistorische Kuriositäten mit aufdringlich pompöser Musik und schwachen Texten handelt, wie viele seit Peter Shaffers Theaterstück Amadeus vielleicht glauben mögen. Während sich Salieris Danaïden nach der Uraufführung vierzig Jahre im Pariser Spielplan halten konnten, der junge Hector Berlioz sich noch in den 1820er Jahren dafür begeistern konnte, bleibt ihre Bekanntheit heute auf akademische Zirkel beschränkt. Das ändert sich hoffentlich bald, auch dank dieser großartigen Einspielung.
Karim Hassan