Saint-Saëns, Camille

Les Barbares

Chœur Lyrique et Orchestre Symphonique Saint-Etienne Loire, Ltg. Laurent Campellone. Collana Opéra Français/ French oper del Palazzetto Bru Zane, Vol. 8

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Ediciones Singulares ES 1017
erschienen in: das Orchester 06/2015 , Seite 80

Ein französisches „Bayreuth“ mitten in mediterraner Landschaft: Von dieser Idee war man kurz vor 1900 im provenzalischen Orange beseelt. Einen „Grünen Hügel“ hatte man zwar nicht zu bieten, dafür aber ein römisches Theater, das fast 12000 Personen fassen konnte. Schon seit Längerem setzte man hier Opern und Tragödien in Szene. Doch es fehlte das spektakuläre Werk, das – wie der Ring aufs Festspielhaus – auf die antike Arena zugeschnitten war.
Das Sujet war jedoch bald gefunden und versprach einigen Effekt. Les Barbares erzählt die Geschichte vom Überfall germanischer Horden auf die Stadt Orange, dem wundersamen Wirken einer Priesterin und ihrer lagerübergreifenden Liebe zu dem Hordenführer Marcomir, die für ihn mit einem Messerstich ins Herz endet. Große Gefühle mit einem gehörigen Schuss Bombast also – das sollte die Arena füllen. Als Komponist wählte man – nachdem zuvor Xavier Leroux und Jules Massenet in Erwägung gezogen wurden – Camille Saint-Saëns. Der stand auf der Höhe seines Ruhms und hatte bereits drei historische Stoffe in Musik gesetzt: Henry VIII., Etienne Marcel und Ascanio. Das Libretto sollte Victorien Sardou verfassen, dessen Tosca gerade in der Vertonung von Puccini Triumphe feierte. Zwei große Namen der zeitgenössischen Opernproduktion schienen den Erfolg zu garantieren.
Stattdessen begann die Geschichte eines grandiosen Scheiterns. Nachlesen kann man sie in einem schön gestalteten Buch, das vom Centre de musique romantique française in limitierter Auflage herausgegeben wurde. Dieses Zentrum residiert in einem aufwendig restaurierten Palais in Venedig, dem „Palazzetto Zane“, und wird von der Fondation Bru (Sitz in Genf) getragen. Neben der ansprechenden Aufmachung zeichnen sich die Bände dadurch aus, dass sie lesenswerte Aufsätze (zweisprachig in Französisch und Englisch) sowie das komplette Textbuch zusammen mit einer Einspielung der jeweiligen Oper bieten. In diesem Fall handelt es sich um eine Aufnahme mit dem Chœur lyrique und dem Orchestre Symphonique Saint-Etienne Loire unter Leitung von Laurent Campellone.
Die beiden CDs entstanden als Mitschnitte von respektablen Konzert-Aufführungen 2014 an der Oper in Saint-Etienne. Saint-Saëns’ Musiksprache denkt Wagner und Massenet originell und eigenständig weiter, was u.a. in zwei breit angelegten Akt-Vorspielen zum Ausdruck kommt. Ein folkloristisch ausgemaltes Ballett im dritten Akt hingegen erinnert eher an Bizet. Wie bereits angedeutet: Ein Triumph in Orange blieb Saint-Saëns versagt. Die Schwierigkeiten vor Ort erwiesen sich als zu hinderlich, und Les Barbares ging schließlich am 23. Oktober 1901 im Pariser Palais Garnier über die Bühne. Spezialeffekte gab’s trotzdem – so zogen z.B. zwei echte Ochsen über die Bühne.
Mathias Nofze