Strawinsky, Igor / Claude Debussy / Paul Dukas

Les Ballets Russes Vol. 1

Le sacre du printemps / Jeux / La Péri

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Hänssler Classic CD 93.196
erschienen in: das Orchester 03/2008 , Seite 60

Das Label Hänssler ist erneut in eine Lücke gestoßen, die vor allem dadurch überrascht, dass es sie überhaupt noch gibt. Es geht um Sergei Diaghilev, der mit den von ihm gegründeten Ballets Russes in Paris zwischen 1909 und 1929 die Kunst des Bühnentanzes revolutionierte und damit nicht nur Ballettgeschichte schrieb. Auf der ersten CD einer den Ballets Russes gewidmeten Serie finden sich neben dem seinerzeitigen Skandalwerk Le sacre du printemps zwei Tanzgedichte, die eher selten zu hören sind: Debussys Jeux und Dukas’ La Péri.
Sportliche Weltrekorde brauchen oft Jahrzehnte, um erneut übertroffen oder doch wenigstens eingestellt zu werden. Vergleichbares geschieht bisweilen auch in der Musik: Da gibt es eine uralte Reverenzaufnahme von Strawinskys Le sacre du printemps aus den 1960er Jahren. Auf dem kleinen, mittlerweile längst „kultigen“ Label Concert Hall musizierte das Orchestre National de Paris unter Pierre Boulez. So oft dieses Werk seither neu aufgenommen wurde: Noch keine Neueinspielung – einschließlich mehrerer unter demselben Dirigenten! – konnte dieser Aufnahme das Wasser reichen.
Jetzt aber ist es soweit! Boulez hat seinen Meister ausgerechnet in seinem Protegé Sylvain Cambreling gefunden, und würden nicht die Glissandi in den „Cercles mystérieux des adolescentes“ ein bisschen ins Kaffeehausmäßige abgleiten, dann wäre diese Einspielung perfekt. Wo etwa Boulez eher musikanalytisch sezierend vorgeht, interessiert Cambreling gerade das Inhaltliche des Opferdramas, was zu einem heraushörbaren Mehr an Leidenschaft führt: Cambreling entfacht eine engagierte Glut und Strawinskys üppig verwendete Ostinati wirken hier in ihrer Wildheit besonders bissig, ja, giftig. Der Tanz etwa des ausgewählten Opfers ist so plastisch gestaltet, dass man das bedauernswerte, in religiösem Wahn dahintaumelnde Menschenkind geradezu vor sich sieht. Dazu kommt ein Klangeindruck, der an Transparenz alle anderen Einspielungen hinter sich lässt, sogar die immerhin famose Rattle-Aufnahme aus dem Jahr 1988.
Die Beliebtheit von Debussys Jeux hält sich auch heute noch in Grenzen, was an der Banalität der Handlung liegen mag. In musikalischer Hinsicht handelt es sich nämlich um ein mit vielen Raffinessen ausgestattetes orchestrales Schlüsselwerk des französischen Meisters. Die Neuartigkeit von Debussys Orchestersprache bleibt freilich in Cambrelings etwas schleppender Deutung auf der Strecke.
Bei Paul Dukas’ La Péri läuft er dann wieder zur Höchstform auf: Hier setzt er mit dem engagierten SWR Sinfonieorchester Dukas’ höchst kunstvoll gestrickte Orchesterklänge konsequent und geradezu schwelgerisch in ein schlankes, energisches und dennoch glutvolles Klangbild um. Ein audiophiler Rausch!
Friedemann Kluge