Schwandt, Christoph
Leos Janácek
Eine Biografie
Im deutschen Musikleben sind nur einige Werke des Mähren Leo Janácek präsent. Gespielt werden seine Sinfonietta, einige Kammermusikwerke und die Opern Jenufa, Katja Kabanowa sowie Das schlaue Füchslein. Über das Leben und frühe Schaffen des Komponisten ist wenig bekannt. Ältere deutschsprachige Biografien von Hans Hollander (1964), Kurt Honolka (1982) und Meinhard Saremba (2001) schufen da bereits Abhilfe.
Nun legt der langjährige Chefdramaturg der Oper Köln, Christoph Schwandt, eine kompakte Biografie vor, die weitere Musikinteressierte für den Komponisten erwärmen könnte. Die politischen Verhältnisse und unterschiedlichen Spracheinflüsse, denen Janácek ausgesetzt war, werden in den einleitenden Kapiteln von Schwandt aufschlussreich erläutert. Natur und Sprachdialekte seines Landes sind ja auch wesentliche Bestandteile seiner Musik. Die zunehmende Abwehrhaltung gegen die dominante deutsche Kultur des Vielvölkerstaats Österreich wird so verständlich. Der slawische Einfluss gewann Ende des 19. Jahrhunderts eine wichtige Bedeutung. Die Orientierung nach Osten hin, vor allem für russische Literatur, schuf eine neue Identität. Die tschechischen Mähren mussten sich außerdem gegen die emsigen Böhmen behaupten.
Als Lehrer, Chorleiter und Begründer einer Orgelschule in Brünn verbrachte Janácek die erste Hälfte seines Lebens. Ihn verbanden Freundschaften etwa mit Dvorák, dennoch war er vom musikalischen Leben der Großstädte abgeschieden. Kurze Studienaufenthalte in Leipzig und Wien schufen kaum Abhilfe. Er blieb der Komponist aus dem kleinen Nest Hukvaldy in Nordostmähren. Erst spät, seit der Prager Jenufa-Premiere von 1916, erfolgte der Durchbruch mit Opern, in denen er die eigentümliche Sprachmelodie seiner Heimat mit einer flirrenden Orchestersprache verband. Diesen Weg zeichnet Schwandt nach, er erzählt das Leben in einer nüchternen Sprache. Der Text wird durch erhellende Zitate sowie dokumentarische Fotos und Landkarten bereichert.
Die unglückliche Ehe mit Zdenka Schulz wird ebenso beleuchtet wie Janáceks Kuraufenthalte etwa in Luhacovice und seine Aktivitäten als Volksliedsammler oder Kritiker. Heraus kommt ein Bild, das den Komponisten als Eigenbrödler zeigt sowohl privat als auch beruflich. Er fühlte sich weder seiner Frau noch einer musikalischen Richtung in Treue verbunden. Für seine Kunst gibt es weder Vorläufer noch Nachfolger, daher klingt sie auch im 21. Jahrhundert immer noch rätselhaft.
Die neuartige Mischung aus Zeitgeschichte, Ethnologie und gut recherchierter Musikerbiografie macht Schwandts Buch zu einer willkommenen Bereicherung. Dass musikalische Besonderheiten von Janáceks Musiksprache zwar umschrieben, aber kaum an Notenbeispielen konkretisiert werden, liegt im schlichten Untertitel “eine Biografie” begründet. Hollander und Honolka griffen da tiefer ein, setzen beim Leser allerdings mehr fachliches Verständnis voraus.
Matthias Corvin