Arvo Pärt

… Lente

Marie Roos (Sopran), Danila Frantou (Countertenor), Toomas Tohert (Tenor), Estonian Philharmonic Chamber Choir, Concerto Copenhagen, Ltg. Tõnu Kaljuste

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Berlin Classics
erschienen in: das Orchester 12/2025 , Seite 76

Arvo Pärt hat seinen Sound. Und seinen künstlerischen Schwerpunkt: die Sakralmusik. Mitglied der orthodoxen Kirche, meidet Arvo Pärt jeden Bombast und konzentriert sich auf die eigenständige Klangsprache seines „Tintinnabuli“ genannten Kompositionsprinzips, dem folgend er den Fortgang der Melodie mit nahezu statischen Dreiklängen verwebt: Die Grundlage für die scheinbare Einfachheit und vor allem für die meditative, beruhigende Wirkung seiner Klangwelt.
Den Schwerpunkt des Albums Lente bilden zwei seiner erfolgreichsten Werke: Stabat Mater und Berliner Messe. Zwischen ihnen sind die drei kleineren Orchesterwerke Festina lente, Trisagion und Silouan’s Song platziert, die in der Dramaturgie der CD einen fünfundzwanzigminütigen Freiraum zwischen den jeweils ähnlich langen Hauptwerken schaffen.
Was eine veränderte Besetzung, der Wechsel zur barocküblichen Stimmung (A= 415 Hz) und die Verwendung von Barockinstrumenten mit Darmsaiten und Barockbögen alles ausmachen! Das Stabat Mater schrieb Pärt 1985 für drei Stimmen und drei Streicher (nachzuhören auf LP Arbos, ECM 1325). Seine 2008 entstandene Version für einen dreizehnköpfigen Chor und Streichorchester verwandelte den ursprünglich kargen, verinnerlichten Ausdruck in ein reichhaltigeres Werk. Diesem verleihen die tiefere Stimmung und der immense Nachhall der Nikolaikirche im Talliner Niguliste-Museum zusätzliches Volumen. Wirkte die schmal besetzte Version nahezu zerbrechlich, so geht in dieser fülligeren, von Tõnu Kaljuste geleiteten Fassung mit dem Estonian Philharmonic Chamber Choir und dem Concerto Copenhagen der Schmerz, den Jesu Mutter Maria beim Beobachten der Kreuzigung und des Todes ihres Sohnes empfindet, im Streicherklang fast unter.
Auch bei der Berliner Messe, die Pärt mit dem tradierten liturgischen Text und zwei eingeschobenen „Alleluia“-Versen für den Berliner Katholikentag von 1990 für Vokalsolisten und Orgel komponiert hatte, hat sich Kaljuste für die wenig später angefertigte Version mit Streichorchester entschieden. In ihr überlassen die Streicher dem Chor oft mehrtaktige, eindringliche A-Cappella-Passagen. Zudem profitiert der Chor im getragenen „Veni Sanctus Spiritus“ von der längeren Klangfülle des Raums. Obwohl Kaljuste in bedächtigem, dem Werk angemessenem Tempo führt, mutiert der Nachhall der Nikolaikirche die Wirkung von Pärts sparsam gesetzten Tönen zu einer Klangwolke. Auch hier lohnt sich der Vergleich mit einer 1993 ebenfalls von Tõnu Kaljuste und dem Estonian Philharmonic Chamber Choir, jedoch mit dem Tallin Chamber Orchestra eingespielten Fassung (ECM 1505): Diese lenkt mit klarem Klang die Aufmerksamkeit auf Text und Musik und entspricht damit eher der auf Andacht und Innerlichkeit ausgelegten Ästhetik Pärts.
Werner Stiefele

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