Édouard Lalo
Le Roi d’Ys
Judith van Wanroij, Kate Aldrich, Cyrille Dubois, Jérôme Boutillier, Nicolas Courjal, Christian Helmer, Hungarian National Choir, Hungarian National Philharmonic Orchestra, Ltg. György Vashegyi
Heute ist Le Roi d’Ys ein kultiger Geheimtipp, war aber bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts mit fast 500 Vorstellungen einer der größeren Pariser Opernerfolge. Bru Zane nutzte die Kooperation mit der Ungarischen Philharmonie, dem Ungarischen Nationalchor und György Vashegyi zu einer sorgfältigen Einspielung, welche die rauschhaften Momente von Édouard Lalos 1888 an der Opéra-Comique uraufgeführten Partitur suggestiv umsetzten. Das Solistenquintett gehört zur eingeschworenen und stilsicheren Bru-Zane-Familie: Kate Aldrich schafft es, als aus enttäuschter Liebe das Verderben der Stadt Ys herbeiführende Königstochter Margared, auf immer lyrischer Basis hochdramatisch zu sein. Judith van Wanroij als ihre glücklichere Schwester Rozenn kontert mit schöner Wärme und Fülle. Cyrille Dubois lässt sich vom Heroenstatus des von beiden geliebten Mylio nicht in die Attacke treiben und überzeugt desto mehr mit feinen Phrasierungen. Jérôme Boutillier als militärischer und erotischer Rivale Karnac, Nicolas Courjal als königlicher Vater und Christian Helmer als die totale Flutkatastrophe schließlich verhindernder Heiliger Corentin zeigen Autorität durch gemessene Homogenität. Wie in allen bis 1900 entstandenen Grand opéras verstärkt diese runde Vokalität die Wirkung. György Vashegyi, Orchester und Chor haben die besten Voraussetzungen für diesen Operntypus in ihren musikalischen Genen.
In den nur 105 Minuten bringt Lalo stellenweise die Zeit zum Stillstand. Mit Kontrasten von epischen Orchesterfluten und ganz intimen Momenten entsteht über der bretonischen Sage mit Liebesrivalität, kriegerischen Konflikten und einem für die Grand opéra typischen Katastrophenende ein musikalisch reiches Panorama, dem man mit der Kategorisierung „Eklektizismus“ nicht beikommt. Der Übergang von der monumentalen Ouvertüre in die Intimität oder der schwelgerische Streicherstrom unter den Stimmen zeigen, wie nachhaltig die dramaturgische Funktionalisierung der Musik der Pariser Fassung des Tannhäuser auf die französische Oper wirkten. Lalo hat das Textbuch von Édouard Blau wirkungsvoll und mitreißend instrumentiert. Das wäre nicht der geringste Grund für eine hoffentlich bald einsetzende Verbreitung dieses die aktuelle Programmgestaltung in Hinblick auf Kürze, Fantasy-Aplomb und Oberflächenreize ideal bereichernden Stücks.
Roland Dippel