Koechlin, Charles
Le Docteur Fabricius op. 202 / Vers la Voûte étoilée op. 129
Die verdienstvollen Bemühungen um das Orchesterwerk von Charles Koechlin durch Heinz Holliger und das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR gehen auf hohem Niveau weiter. Nach einer CD mit La couse de printemps aus dem Dschungelbuch sowie Le buisson ardent op. 203 und 171 (hänssler CD 93045) gibt es nun zwei weitere Raritäten als Ersteinspielungen: Le Docteur Fabricius op. 202 und Vers la Voûte étoilée op. 129. Charles Koechlin, 1867 in Paris geboren, 1950 an der Côte dAzur gestorben, lässt sich kaum in begriffliche Schubladen packen. Ein Spätromantiker, als der er oft tituliert wird, war er nur bedingt. Die Ausbildung bei Massenet und Fauré legt zwar die Grundlagen seines Komponierens, sein exorbitantes Geschick in Instrumentationsfragen und seine Experimentierfreude auf diesem Gebiet lässt ihn eher, was auch die neue Einspielung zeigt, als Vorläufer Messiaens erscheinen. Als Theoretiker und Lehrer unter anderem von Poulenc geschätzt, ist indes sein Rang als Komponist bis heute nicht genügend anerkannt.
Der Spross der elsässischen Industriellenfamilie Dollfus und Koechlin, der ursprünglich Astronom werden wollte, konnte dieser Neigung frönen, wenn auch als Komponist. Vers la Voûte étoilée (Beim Anblick des Sternenuniversums), ein Nocturne für Orchester, ist dem Andenken des Astronomen Camille Flammarion gewidmet. Hier zeigt sich Koechlin als Farbmagier par excellence. Dies kommt in der Interpretation von Heinz Holliger, dessen eigene Erfahrungen als Komponist hier sicher auch dem Werk des elsässischen Komponisten zugute kommen, mit dem sehr geschmeidig agierenden Radio-Sinfonieorchester Stuttgart zum Tragen. Hier könnte man trotz des Entstehungszeitraums von 1923 bis 1939 die späte Uraufführung erfolgte indes erst 1989 in Berlin noch von einer spätromantischen Komposition reden.
Das letzte umfangreiche Werk für großes Orchester hingegen lässt sich mit romantischen Maßstäben nicht fassen: Le Docteur Fabricius, zwischen 1941 und 1946 entstanden, könnte als eine Art Soundtrack zu der gleichnamigen Novelle des Onkels Charles Dollfus gehört werden. Das siebenteilige Werk für große Orchesterbesetzung, das nach seiner Uraufführung 1949 in Brüssel erstmals wieder durch das Stuttgarter Orchester erklingt, ist in seiner Kantigkeit, in der Verwendung von Chorälen und Fugen sowie in seinem ungemein weiten klanglichen wie formalen Spektrum von hohem Anspruch. Nicht nur die Verwendung der Ondes Martenot lässt an Messiaens Turangalîla-Symphonie denken, die fast zeitgleich mit Koechlins letztem Orchesterwerk entstand.
Holliger ist bei dieser Reise mit dem bis an seine Grenzen geforderten SWR-Orchester ein überlegener Leiter, der die harten Kontraste ausspielt, ohne sich dabei zu verirren. Neben der guten Aufnahmetechnik ist auch die informative Qualität des Booklets zu loben, das die beiden unbekannten Kompositionen Koechlins dem Hörer auch auf diesem Wege näher bringt.
Walter Schneckenburger