Heller, Barbara

Lalai. Schlaflied zum Wachwerden?

für Orchester, bearb. von Tina Ternes, Partitur

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2010
erschienen in: das Orchester 01/2011 , Seite 67

Die Orchesterkomposition Lalai. Schlaflied zum Wachwerden? hat eine lange Geschichte, ihr liegt – so die Komponistin Barbara Heller – wie den vorigen Versionen von Lalai ein besonderes Lied zugrunde: „Dieses Lied stammt von einer Gruppe Intellektueller, die 1973 unter dem Schah-Regime in Teheran hingerichtet worden sind. Es ist ein Widerstandslied und handelt von einer Mutter, die ihrem Kind ein Schlaflied singt und ihm erzählt, was mit dem Vater geschehen ist. Das Lied wurde unter anderem von den iranischen Studenten im Ausland in der Zeit der Schah-Herrschaft als Widerstandslied gesungen.“ Barbara Heller schreibt im Vorwort zur Orchesterfassung weiter: „In Anlehnung an dieses Lied habe ich mit Unterstützung der Geigerin Helga Wähdel im Januar 1989 [das] Duo [für Violine und Klavier] Lalai für 50 iranische Frauen – darunter zwei schwangere – komponiert. Als öffentliche Solidaritätserklärung zu ihrer Rettung und Befreiung aus dem Evin-Gefängnis in Teheran eröffneten wir damit ein Konzert am 27. Januar 1989 in Bonn. Unter dem Chomeini-Regime sind alle 50 Frauen im Frühjahr 1989 ermordet worden. Lalai, Schlaflied zum Wachwerden? ist allen Frauen gewidmet, die aus politischen Gründen in islamischen Gefängnissen festgehalten werden, all denen, deren Leben noch bedroht ist.“
Im selben Jahr 1989 entstand eine Version für Violoncello und Klavier, deren Uraufführung 1991 in Bad Wildungen stattfand; die Interpretinnen waren Corinna und Brunhilde Eikmaier. Eine weitere Version schließlich, eine Bearbeitung von Siegfried Schwab für Sprecher(in), Flöte, Viola, Gitarre und Percussion, entstand 1995; diese Fassung wurde 1995 in Heidelberg vom Diabelli-Trio uraufgeführt.
Mit dem Orchesterstück legt Tina Ternes, die mit der Komponistin befreundet ist und mit ihr in regem Austausch stand, eine weitere Bearbeitung vor, die, wie sie selbst sagt, von den kammermusikalischen Fassungen ausdrucksmäßig abweicht: Die hart voneinander abgesetzten Instrumentengruppen, die energischen Rhythmen, die sich steigernden Motivwiederholungen am Schluss geben dem Werk weniger einen klagenden, eher einen drängenden und „aufweckenden“ Charakter.
In einem einleitenden Teil wird das Lied aufgebrochen und auf verschiedene Orchesterstimmen verteilt. Die Oboen, Flöten, Trompeten, Klarinetten, Flöten erneut, schließlich erste Violinen und Hörner übernehmen Fragmente des Liedes, wodurch der Einleitungsteil einen etwas zögerlichen, nachdenklichen Ausdruck gewinnt. Es folgen Variationen als Reflexionen über das Lied. Der einleitende Abschnitt wird am Schluss noch einmal aufgegriffen, bevor eine Art Coda zum Ende führt.
Lalai. Schlaflied zum Wachwerden? für Orchester ist „allen persischen Frauen gewidmet“: Der Widerstand geht weiter.
Eva-Maria Houben