Shostakovich, Dmitri

Lady Macbeth of Mtsensk

Rubrik: DVDs
Verlag/Label: Opus Arte OA 0965 D, 2 DVDs
erschienen in: das Orchester 05/2007 , Seite 87

„Bei uns wird selten berücksichtigt, dass in der Oper der Gesang wichtiger ist als die Psychologie. Die Dirigenten betrachten die Musik in der Oper als etwas Drittrangiges. Dadurch haben sie auch den Film Katerina Ismailowa verdorben. Die Schauspieler spielten hervorragend, vor allem Galina Vishnevskaya, aber das Orchester ist kaum zu hören. Wie kommt das?“ Harte Worte findet Dmitri Schostakowitsch in den von Solomon Volkov aufgezeichneten Memoiren über die sowjetische Verfilmung seiner Oper Katerina Ismailowa von 1956/63, die abgemilderte Fassung der 1936 von Stalin verbotenen Lady Macbeth von Mzensk.
Auch in einem Brief an seinen Vertrauten Isaak Glikman vom 10. September 1964 äußert er sich eher zurückhaltend über den Film, der nun erstmals außerhalb Russlands veröffentlicht wurde. Keine Frage – nicht alles ist in dem Film von 1966 perfekt. Vor allem lässt die Tonqualität zu wünschen übrig, wofür allerdings Dirigent Konstantin Simeonov nichts kann. Gleichwohl handelt es sich um ein einzigartiges Dokument, was nicht nur der großen Sopranistin Galina Vishnevskaya zu verdanken ist.
Atemberaubend gestaltet sie die Titelrolle der unterdrückten Kaufmannsfrau, die zur mehrfachen Mörderin aus verlorener Ehre wird. Im westlichen Exil wird Vishnevskaya auch bei der Weltersteinspielung der Lady Macbeth unter ihrem Gatten Mstislaw Rostropowitsch mitsingen (EMI). Mit Parallelsequenzen bricht wiederum Regisseur Mikhail Shapiro den Realismus: Während etwa der Betrunkene zur Polizei rennt, um Katerina zu denunzieren, nachdem er die Leiche des von ihr vergifteten Schwiegervaters Boris entdeckt hat, wird auf der anderen Bildschirmhälfte Katerinas Hochzeit mit Sergei gezeigt.
Zudem erlaubt die historische Verfilmung spannende Einblicke in die prüde und humorlose sowjetische Kulturpolitik – vor allem wenn man sie mit der exzellenten Aufführung der Lady Macbeth unter Mariss Jansons in Amsterdam 2006 vergleicht, die ebenfalls auf DVD erschienen ist. Wenn im Beiheft zur sowjetischen Katerina-Verfilmung von „kleineren Unterschieden“ zwischen den Opernfassungen zu lesen ist, die man auch „überbewerten“ könne, so wird verharmlost.
So ist der auskomponierte Geschlechtsverkehr zwischen Katerina und ihrem Liebhaber Sergei deutlich abgemildert, die Posaunenglissandi zur Darstellung der Ejakulation und Erschlaffung des Glieds wurden gestrichen. Das deckt sich mit Erinnerungen von Vishnevskaya, wonach bei den Katerina-Dreharbeiten nackte Haut untersagt war: „Wir machen einen Film für die werktätigen Massen, nicht für Lustmolche“, hieß es. Den sowjetischen Funktionären wären wohl die Ohren abgefallen, hätten sie den kompromisslosen Expressionismus von Jansons und dem Concertgebouw Orchester erlebt.
Ob Eva-Maria Westbroek als Titelheldin, Christopher Ventris als Sergei oder Vladimir Vaneev als Boris: Bis in die kleinste Rolle hinein wird ein musikalisches Feuerwerk entfacht. Noch dazu begeistert die Inszenierung von Martin Kus?ej, die der Partitur und Dramaturgie des Werks geistreich Rechnung trägt. Am Ende schafft er gar eine neue Deutung des Finales. Er lässt Katerina im sibirischen Gefangenenlager, wo sie sich nach Aufdeckung ihrer Morde wiederfindet, nicht in den eiskalten Strom stürzen – Sonjetka, die mit Sergei eine Affäre hat, mitreißend. Nein, er lässt sie Sonjetka erdrosseln, bevor sie von ihren Mitgefangenen gelyncht wird. Die Aufseher schauen weg, die grauenvolle menschliche Ödnis wird gesteigert.
Marco Frei