Verdi, Giuseppe

La Traviata

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Farao Classics S 108070
erschienen in: das Orchester 06/2007 , Seite 78

„Liebe und Tod“, diesen Titel hatte der Komponist für La Traviata gewählt, und genau diese Leidenschaften führt Anja Harteros, die mit ihrer Interpretation der Protagonistin voll in ihrem Element ist, vor Augen. Das einsame Streben, sich in einer oder gegen eine kranke Gesellschaft durchzusetzen, gibt ihr die Würde einer tragischen Figur. Die „Traviata“ Violetta Valéry ist eine tragische Heldin.
Wie spannungsvoll ihre Geschichte dem heutigen Publikum zu vermitteln ist, wird in dieser Liveaufnahme unverkennbar, die im März 2006 in der Bayerischen Staatsoper entstanden ist. Das Zusammenspiel der Kräfte des Orchesterleiters Zubin Mehta und seines Orchesters – von Juli 1998 bis September 2006 war er Bayerischer Generalmusikdirektor und damit musikalischer Leiter der Bayerischen Staatsoper München und des Bayerischen Staatsorchesters – holt die Kraft dieser Musik heraus und macht sie so deutlich, dass man sie sehen kann. Ebenso klar herauszuhören ist die Wechselwirkung zwischen dem aufmerksamen Publikum und den Künstlern: Der Applaus motiviert die Künstler, ihr Bestes zu geben, und man fühlt sich gleich in die Stimmung des Operntheaters getaucht.
Hervorzuheben bei dieser Interpretation ist die Betonung des volkstümlichen Italienischen. Im Brindisi „Libiamo ne’ lieti calici“ verlassen die Stimmen den Belcanto und erklingen wahrhaftig „volkstümlich“, was der Szene gut bekommt und sie in das ursprünglich vorgesehene Licht rückt. Alle Interpreten, von den Solisten bis zum Chor, dessen klare Deklamation und präzise Diktion bemerkenswert sind, sind sich der volkstümlichen Züge bewusst, vom Coro di Zingarelle, in dem süditalienische Wendungen erklingen, bis zum karnevalistischen Baccanale im dritten Akt.
Anja Harteros überzeugt mit ihrer klaren Stimme, charakterisiert durch einen metallischen Klang. Ihre Vocalisen sind schwindelerregend, spielen mit italienischer „Leggerezza“, dank der Stütze einer verfeinerten Atemtechnik. Piotr Beczala (Alfredo) verfügt über die schöne, warme Stimme eines lyrischen Tenors, die sich wundervoll für weitere italienische Opernpartien wie die von Puccini eignet (denken wir an seine Rodolfo-Interpretation in La Bohème). Paolo Gavanelli (Germont) mit seiner dünnen, nasalen Stimme bringt das Volkstümliche von Verdi „authentisch“ zum Ausdruck.
Als „reine“ Sängeroper wurde La Traviata für eine Reihe von Darstellerinnen des 20. Jahrhunderts zur Grundlage eines Starkults. Bei dieser Interpretation ist aber dem ganzen Ensemble Tribut zu zollen, das wieder einmal unter der einzigartigen Führung von Zubin Mehta Begeisterndes geleistet hat. Ein Genuss für alle Opernliebhaber.
Cristina Ricca