Antonio Vivaldi

La Stravaganza op. 4

Zwölf Konzerte für Violine, Streicher und Basso continuo, Band I und II, Partitur/Klavierauszug

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Bärenreiter
erschienen in: das Orchester 09/2019 , Seite 59

Mit seiner 1716 in Amsterdam veröffentlichten Sammlung La Stravanganza op. 4 legte Vivaldi nach seinem erfolgreichen, 1711 erschienenen L’Estro Armonico op. 3 die zweite Publikation mit zwölf Concerti für Violine vor. Die Titelgebung verweist dezididert auf jene „Extravaganzen“ und Besonderheiten in der Handhabung spezifischer kompositorischer Gestaltungsmittel – darunter etwa waghalsige Modulationen, ungewöhnliche harmonische Fortschreitungen oder geigerische Figurationen in für die damalige Zeit schwindelerregend hoher Lage –, die der Komponist nutzte, um den tradierten formalen Rahmen immer wieder mit Momenten des Unerwarteten anzureichern und ihn an einigen Stellen gar bis zum Äußersten auszureizen.

Erfreulicherweise trägt die vorliegende wissenschaftlich-kritische Neuausgabe von La Stravaganza der Wirkungsgeschichte dieser bedeutenden Sammlung Rechnung und bezieht, unterstützt durch ausführliche Quellenbeschreibungen und einen detaillierten Kritischen Bericht, sämtliche greifbaren zeitgenössischen Nachdrucke und Abschriften in die Edition mit ein. Sie dokumentiert damit nicht nur die Spuren der handschriftlichen Überlieferungstradition, die eine lebendige Pflege und Anpassung der Werke an die jeweiligen musikalischen Bedürfnisse erkennen lässt, sondern macht auch unterschiedliche kompositorische Stadien sichtbar. Da Vivaldi nämlich nach Übergabe der zwölf Concerti an seinen Verleger Estienne Roger an einzelnen Stücken weiterarbeitete und in der Folgezeit Abschriften von diesen neuen Versionen gefertigt wurden, ist die handschriftlich überlieferte Gestalt mancher Werke mitunter weitaus elaborierter als jene ihrer im Druck veröffentlichten Gegenstücke.

Resultat ist ein ganzer Reigen von alternativen Fassungen einzelner Sätze oder gesamter Concerti, der nicht nur – wie im Falle des verlängerten Endes zum Concerto XII G-Dur RV 298 oder in Johann Georg Pisendels Version des Concertos II e-Moll RV 279 – den Zuschnitt des Soloparts betreffen, sondern sich auch – so bei den Alternativfassungen der Concerti VI g-Moll RV 316a und XI D-Dur RV 204 ohne Viola – auf die Klanggestalt beziehen. Mit dem Concerto F-Dur RV 291 ist schließlich gar ein Stück enthalten, das in der Edition von Walsh & Hare (1728) an die Stelle des ursprünglichen Concerto VI trat.

Dass die Hinweise zur Aufführungspraxis im Vorwort relativ knapp ausfallen, wird durch eine ausführliche Bibliografie mit entsprechenden Literaturhinweisen kompensiert. Wenig nutzerfreundlich ist allerdings, dass sich dieses Verzeichnis lediglich im Kritischen Bericht am Ende der beiden Partiturbände findet, nicht aber den separat erhältlichen Klavierauszügen beigegeben ist, sodass sich der am praktischen Gebrauch der unbezeichneten Violinstimme interessierte Nutzer (der nicht unbedingt die Partituren zur Hand hat) anderweitig informieren muss.

Stefan Drees