Auber, Daniel-François-Esprit

La Muette de Portici

Rubrik: CDs
Verlag/Label: cpo 4929551
erschienen in: das Orchester 01/2014 , Seite 77

Eine stumme Titelheldin: Das allein ist für eine Oper skurril genug, wird aber in den Schatten gestellt von einer Tonaufnahme desselben Stücks. Denn auf der kann man die Protagonistin naturgemäß nicht einmal sehen. Doch so hat es der französische Komponist Daniel-François-Esprit Auber (1782-1871) vorgegeben, und in seiner populärsten Oper
der „Stummen von Portici“ die Titelrolle zugedacht.
Wie mitreißend diese zu Unrecht vergessene Revolutionsoper sein kann, zeigte das Anhaltische Theater vor rund drei Jahren in einer weithin beachteten Inszenierung; es war zugleich der Einstand von Generalintendant André Bücker als Regisseur am eigenen Haus. Nun ist die Dessauer Stumme auf CD beim renommierten Label cpo und in Koproduktion mit Deutschlandradio Kultur erschienen. Und bereichert damit eine Diskografie, in der nur eine weitere Aufnahme derzeit im Handel verfügbar ist.
Bemerkenswert ist die Stumme von Portici (1828) aus mehreren Gründen: Sie enthält viel wunderbare Musik und hat zudem ein eigenes Genre begründet, die sogenannte Grand Opéra, bei der historische Stoffe mit Massen von Menschen unterhaltsam und gut verdaulich auf die Bühne gebracht werden. Aubers Oper war für die Zuschauer freilich nicht nur ein Feierabendvergnügen, sondern stiftete selbst zur Revolution an: Nach einer Aufführung 1830 in Brüssel bildeten sich Ansammlungen von Menschen, um gegen die unliebsame Regierung zu protestieren. In Dessau wurde das Stück schon sechsmal gegeben, zum ersten Mal bereits 1830.
Im Mittelpunkt der Handlung steht die stumme Fenella, die Alphonse, den Sohn des Vizekönigs, aus Standesgründen nicht heiraten darf, außerdem Elvire, Alphonses Braut, und der Revolutionär und Fischer Masaniello, Fenellas Bruder. Das Ende ist, wie nicht anders zu erwarten, tragisch: Die Titelfigur stürzt sich vor Verzweiflung in den Vesuv. André Bücker verlegte in seiner Lesart die Handlung, durchaus logisch, ins aktuelle Camorra-Milieu und ließ die Stumme ausdrucksstark von einer Tänzerin spielen.
Die sieht man nun ausschließlich im Booklet der neu erschienenen CD, doch kann man sich dafür umso besser auf die Musik konzentrieren und auf die außerordentliche Qualität, in der sie dargeboten wird. Allen voran gibt der mexikanische Startenor Diego Torre einen sensationellen Masaniello. Aber auch die hauseigenen Kräfte überzeugen durchweg: Angelina Ruzzafante singt strahlend, aber einfühlsam die Partie der Elvire, Ulf Paulsen verleiht einmal mehr einem Bösewicht (hier dem Offizier Selva) dunkle Tiefe. Weitere Mitglieder des schlagkräftigen Ensembles sind Oscar de la Torre, Angus Wood, Anne Weinkauf, Wiard Witholt, Kostadin Arguirov und Stephan Biener.
Revolutionären Furor entfachen unter der Gesamtleitung von GMD Antony Hermus der Opernchor des Anhaltischen Theaters mit Unterstützung des Opernchores Caruso (Einstudierung: Helmut Sonne) und nicht zuletzt die blendend aufgelegte Anhaltische Philharmonie mit gut abgestimmten Bläsern und samtigem Streicherklang. Kleiner Schönheitsfehler: Der Text der Oper ist im Booklet der CD nur auf französisch abgedruckt. Das Prädikat „unbedingt hörenswert“ verdient sie trotzdem.
Johannes Killyen