Debussy, Claude / Igor Strawinsky
La Mer / Le Sacre du Printemps
Debussys La Mer und Strawinskys Le Sacre du Printemps befinden sich entstehungsgeschichtlich am Scheideweg zwischen der Musik des spätromantischen 19. zur Moderne des 20. Jahrhunderts. Viele Interpretationen spüren gerade in Debussys Werk zu Recht diejenigen Parameter auf, die auffällig auf die Moderne hinweisen oder diese bereits antizipieren, wohingegen bei Strawinskys Frühlingsopfer klar ist, dass sich eine neue Tonsprache durchgesetzt hat.
Einen anderen Akzent scheinen die Musiker der Duisburger Philharmoniker unter Leitung ihres scheidenden Generalmusikdirektors Jonathan Darlington bei ihrer Aufnahme von La Mer gewählt zu haben. Sie unterstreichen eher, welcher Traditionslinie die Musik entstammt und dass Debussys klangliche Neuerungen nicht ohne musikalische Voraussetzungen aus dem 19. Jahrhundert denkbar sind. Dieser Ansatz macht sich weniger an vergleichsweise langsamen Tempi fest, sondern vielmehr an der klanglichen Realisierung. Als Ideal steht nicht ein äußerst differenziertes, auf Klarheit einzelner Stimmen achtendes, strukturiertes Klangbild im Vordergrund, sondern eher ein sehr breiter, auf Klangrausch und -fülle angelegter, opulenter und gemischter Klangteppich, in dem die Töne eher miteinander gebunden sind, als dass einzelne Motive durch stärkere Akzente in sich Struktur erhalten. Das führt an vielen Stellen zu einer nicht zu leugnenden, emotionalen Klangpracht. Es birgt aber gleichzeitig die Gefahr, dass die Subtilität der einzelnen Motive in den Hintergrund gedrängt wird und verloren zu gehen droht. Hinzu tritt bei dem skizzierten Klangideal in dieser Aufnahme ein dunkel geerdeter Klang, in dem die Oberstimmenbrillanz ein wenig gedeckelt wird. Das ist grundsätzlich überhaupt kein negativer Ansatzpunkt, vor allem wenn man es wie im dritten Satz versteht, mit der Musik spannungsvoll zu atmen und die vorwärts gerichtete Energie als treibendes Element ausrichtet. Dennoch muss man fragen, ob man mit dieser Herangehensweise in allen Teilen dem Klangideal Debussys gerecht wird. Vor allem mit dem Einsatz der Blechbläser wird häufig ein von der spätromantischen Musik geprägtes, deutsches Klangbild evoziert.
Versucht man allerdings, dieses Klangideal auf Strawinskys Le Sacre du Printemps zu übertragen, so ist das eher problematisch. Natürlich besticht so gerade der Beginn mit seinem weit ausladenden Melos, aber schnell wirkt die Musik durch das Neben- und Übereinanderlegen der Stimmen, Harmonien und Instrumente sehr flächig und unstrukturiert. Vor allem aber verliert die Musik selbst an vielen Stellen an Kraft und Brutalität, denn durch die Egalisierung der Schroffheiten von Tempi-, Klang-, Motivakzenten verlieren diese gleichzeitig ihre Fähigkeit, ihre rhythmische Kraft zu entfesseln. Die Klangopulenz und die Klanggewalt kann dieses Manko nicht mehr ausgleichen, auch wenn man an einigen Stellen fasziniert zustimmen muss, dass die gesamte Kraft der musikalischen Gewalt nicht an jeder Stelle und auch nicht zu früh einsetzen muss. Hierfür ist der Tanz der Jünglinge ein gutes Beispiel. Aber fast zwangsläufig wirkt die Danse sacrale am Ende der vorliegenden Aufnahme des Frühlingsopfers schleppend, wenn man bei dieser Musik zu sehr die Details mit ihrer kinetischen Energie vernachlässigt.
Klemens Fiebach