Offenbach, Jacques

La Belle Hélène

Klavierauszug

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Alkor-Edition, Kassel 2008
erschienen in: das Orchester 09/2009 , Seite 67

Denkt man an die Pariser Operette, so ist auch der leuchtende Name von Jacques Offenbach nicht weit. Oftmals wird allerdings vergessen, dass diese vordergründig heitere, vielfach aber auch beißend kritische musikalische Gattung erst Schritt für Schritt wachsen musste, bevor sie die ganze Welt im Sturm eroberte und ein breites Publikum bis heute verzückt. Als eines der Schlüsselwerke, sowohl im Œuvre Offenbachs als auch innerhalb des jungen Genres, gilt “La Belle Hélène” – uraufgeführt am 17. Dezember 1864 im Pariser Théâtre des Variétés und nur wenig später in deutscher Sprache erstmals am 17. März 1865 im Theater an der Wien erklungen.
Sie wurde in den folgenden Jahrzehnten einer von Offenbachs größten Erfolgen. Die zahlreichen Inszenierungen zwischen New York und St. Petersburg brachten freilich auch einen erheblichen Substanzverlust mit sich: Wie wohl bei jedem Bühnenwerk (in der Operette freilich noch schonungsloser als in der Oper) wurde kräftig revidiert, gekürzt und arrangiert – mitunter bis hin zur Unkenntlichkeit. So liegen zu Offenbachs Belle Hélène nicht weniger als acht zeitgenössische (teilweise auch inhaltlich entgegengesetzte) Versionen des Finales vor, zudem wurde die Partitur uminstrumentiert und die Faktur vielfach verändert. Dies zeigen auch die beiden Druckausgaben von 1865 (bei Gérard/Paris und Bote & Bock/Berlin): Sie enthalten keineswegs das, was kurz zuvor in Paris und Wien erklungen war.
Umso notwendiger erscheint eine kritische Ausgabe des gesamten Werks (zumal sich die autografe Partitur weitestgehend erhalten hat) – und dies nicht nur aus philologischem Eigennutz, sondern auch, um an der Gestalt der Komposition (wie auch der des Librettos) endlich einmal verstehen zu können, was ursprünglich konzipiert war und was das Spezifische der nun unverfälscht zugänglichen Instrumentation ausmacht. Beispielsweise wurde noch vor der Uraufführung (wohl um der Zensur zuvor zu kommen) die zentrale Szene des 2. Aktes gestrichen: eine unverblümte Darstellung von Korruption in der Obrigkeit.
Bei der Neuedition der “Belle Hélène” (in ihrer Urfassung), von der nun ein Klavierauszug vorliegt, handelt es sich aber nicht nur um die wohl erste quellenkritische Ausgabe einer Operette überhaupt, sondern auch um ein Epitaph des bereits im Jahr 2001 plötzlich verstorbenen Herausgebers und Offenbach-Spezialisten Robert Didion. Aus diesem tragischen Umstand erklärt sich denn auch vieles: dass das Vorwort von Jean-Claude Yon stammt, dass der ursprünglich geplante Anhang mit späteren Fassungen entfiel und auf einen erläuterndern Kritischen Bericht verzichtet wurde – wer anders hätte sich in die komplexe Materie einarbeiten können? So bildet die Edition ein Stück Lebenswerk, das nicht ganz vollendet werden konnte, von Marc Minkowski und seinen Musiciens du Louvre aber schon vor einiger Zeit auf CD festgehalten wurde (Virgin). Der Klavierauszug (Stichbild und Spielbarkeit) hat gewohnte Alkor/Bärenreiter-Qualität.
Michael Kube