Françaix, Jean
Lheure du berger
Musique de brasserie für Streichquintett und Klavier, Partitur und Stimmen
Den Franzosen Jean Françaix kann man sich als idealen Vertreter der Groupe des Six der er als erst 1912 Geborener nie angehörte vorstellen: Er steht für eine leichte Musik voll melodischem Charme, mit jazzinspirierter Rhythmik und in klassizistisch klarer Form in seinen Worten la musique sérieuse sans gravité. Dabei realisiert sich im Raffinement von Kontrapunktik und Harmonik das große handwerkliche Können des Komponisten, der als Konzertpianist zudem über umfassende praktische Erfahrung verfügte.
Françaix 1947 komponierte dreisätzige Lheure du berger für Streichquartett, Kontrabass und Klavier wird jetzt erstmalig in ihrer Originalfassung verlegt. (Eine ebenfalls noch 1947 entstandene Bearbeitung für Bläser und Klavier mit abweichendem Mittelsatz gehört seit Langem zum Repertoire entsprechender Ensembles.) Der Brasserie-Beobachter Françaix bannt die bunte Welt des Pariser Café-Lebens in drei prägnante Porträts. Die Vieux Beaux (etwa: Betagte Dandys) erinnern sich der guten alten Zeit in Form resignativ seufzender Glissando-Auftakte; eine angeregt-distinguierte Sechzehntel-Konversation im Mittelteil ironisiert der Komponist als un peu macabre. In langsamem Walzertempo deuten die Pin-up-Girls ihre amourösen Reize nur an, bewegen sie sich doch recht diskret in schlichter G-Dur-Harmonik. Von hektischer Bewegung hingegen ist das Finale der neunminütigen Suite bestimmt: Les petits nerveux, die unruhigen Kinder, entfalten ein Perpetuum mobile mit gewagten Sprüngen, frechen Akzenten und übermütigen rhythmischen Verrenkungen.
Vor allem in den beiden ersten Sätzen halten sich die technischen Anforderungen an die Spieler in Grenzen.
Der bei Françaix sonst oft sehr anspruchsvolle Klavierpart verlangt hier lediglich an einigen Stellen des Finales solistische Qualitäten. Der Kontrabass, unter dem Klaviersystem notiert, fungiert continuo-artig
fast ausnahmslos als Verdoppelung der linken Hand des Pianisten. Das Streichquartett steht somit im Zentrum des motivischen und klanglichen Geschehens und wird im letzten Satz auch intonatorisch stark gefordert. Für alle Spieler sind präzise Artikulation mit häufigen Staccati sowie eine stete rhythmische Wachheit unabdingbar. Gestisch-humoristische Elemente dürften sich dann von selbst einstellen und den suggestiven Charakter dieses reizvollen Schäferstündchens unterstreichen.
Rainer Klaas