Hotteterre, Jacques Martin
LArt de Préluder
Paris 1719, übersetzt und hg. von Dagmar Wilgo
Hotteterres Principes de la flûte op. 1 und LArt de Préluder op. 7 als deren anspruchsvolle Fortsetzung, beide gleichermaßen für Querflöte, Blockflöte und Oboe konzipiert, sind wichtige Quellen für den Umgang mit der Musik ihres Autors und seiner Zeitgenossen. Während op. 1 sich auf das zum Erlernen des Instruments Notwendige beschränkt nicht ohne in aller Kürze Wesentliches zu dessen Eigenarten und Problemen mitzuteilen, geht es in op. 7 neben musiktheoretischen und kompositionstechnischen Aspekten vor allem um die Musik.
Die ins Deutsche übersetzte Neuausgabe zielt darauf ab, das unverdienterweise im Schatten der erfolgreichen Flötenschule stehende Werk einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Sie hält sich, um den Sinn möglichst nicht zu verfälschen, streng an den im klassischen Französisch verfassten Text; die Notation der Musikbeispiele im französischen Violinschlüssel wurde beibehalten. Der großzügige Druck erleichtert die Lesbarkeit, reißt gelegentlich aber auch Zusammengehörendes auseinander.
In den ersten sechs der insgesamt elf Kapitel wird an zahlreichen Beispielen gezeigt, wie man sich und sein Instrument einspielen und auf den Charakter z. B. einer Suite oder einer Sonate einstimmen kann. Neben der musikalischen Vielfalt der zum Nachspielen angebotenen Préludes und Traits (Passagen) ist der Umfang der verwendeten Tonarten erstaunlich.
Es werden nicht nur insgesamt 18 der möglichen 24 Dur- und Molltonarten als praktikabel bezeichnet, sondern der Autor könnte sich sogar vorstellen, die Stücke auf alle chromatischen Halbtöne zu transponieren, weil, wie er sagt, es durchaus nichts gibt, was man nicht in allen Tonarten spielen könnte. Er verzichtet aber auf diesen letzten Schritt, wohl um seine Leser nicht vollends zu verschrecken. Seinen Vorschlag, durch Lesen und Spielen im (heute üblichen) Violinschlüssel auf der zweiten Linie das Transponieren zu üben, sollte man indes sehr beherzigen. Um das Studium zu erleichtern, sind die Beispiele mit Takteinteilung notiert. Beim Vortrag, gerne auswendig, sollte man das aber wieder vergessen und frei spielen.
In weiteren fünf Kapiteln geht es um die Theorie. Besprochen werden Tonarten und Kadenzen, das Lesen verschiedener Schlüssel, Transponieren und, sehr ausführlich, verschiedene Taktarten. Der Autor scheint bei seinen Ausführungen auf die unterschiedliche Vorbildung seiner Leser Rücksicht nehmen zu wollen und so geraten ihm im Vergleich zur Prägnanz der Musikbeispiele die das Handwerk des Komponierens betreffenden Bemerkungen gelegentlich ein wenig weitschweifig. Diese Formulierungen werden durch die textnahe Übersetzung leider nicht eleganter. Das sollte aber keinesfalls davon abhalten, Hotteterres Bemerkungen sorgfältig zu lesen. Zum Schluss, sozusagen als Belohnung, wird noch an zwei vollständig ausgearbeiteten Préludes mit beziffertem Bass das Gelernte wieder in Musik verwandelt. Bleibt nur zu wünschen, dass man angesichts solcher Vorbilder noch den Mut hat, eigene Préludes zu erfinden und zu spielen.
Ursula Peek