Scheytt, Oliver
Kulturstaat Deutschland
Plädoyer für eine aktivierende Kulturpolitik
Kulturpolitik spielt in der gesellschaftlichen Realität und in der täglichen Wahrnehmung eine eher untergeordnete Rolle. Ist es also ein verzweifelter Hilferuf oder ein echter Neubeginn, wenn ein langjährig erfahrener Kulturdezernent ein Plädoyer für eine aktivierende Kulturpolitik hält? Das Buch ist in drei Teile gegliedert, überschrieben mit den Titeln Kontext, Kontent und Konsens. Das hört sich zunächst wie ein netter Stabreim-Slogan an. Doch im Lauf der Lektüre wird die Stichhaltigkeit dieser Gliederung immer deutlicher: Es geht darum, Muster kulturpolitischen Handelns zu erkennen, zu analysieren, zu zerlegen und zu strukturieren. Denn das Wissen um das Zustandekommen (kultur-)politischer Entscheidungen eröffnet letztlich die aktive Beeinflussung derselben. Hierzu lässt Scheytt nicht nur seine subjektiven Erfahrungen aus der Praxis eines kommunalen Kulturdezernats und Insiderwissen aus verschiedenen kulturpolitischen Verbänden und Gremien, sondern auch die neuesten Erkenntnisse aus Kulturmanagement und -wissenschaft einfließen.
Jedem der drei Teile ist eine kurze Übersicht vorangestellt, die die inhaltliche Orientierung für das Kommende bietet. Im ersten Teil Kontext geht es darum, die Zusammenhänge, die Bezugspunkte von Kulturpolitik festzumachen, die im Dreieck zwischen Gesellschaft, Bürger und Staat entsteht. Was sich zunächst recht abstrakt anhören mag, wird bald konkretisiert: Wie hat sich die Bedeutung der Kultur für die Gesellschaft in den vergangenen Jahren verändert, u. a. auch in wirtschaftlicher Hinsicht, als Standortfaktor oder im Sinne von Umwegrentabilität? Welche Einflüsse bringen die zunehmende Individualisierung, Medialisierung und Globalisierung der Gesellschaft? Wie definiert sich heute die Rolle des Staates bei der Ermöglichung (auch finanzieller) Handlungsspielräume von Kultur?
Hierbei entwickelt Scheytt sein Grundmodell für eine neue, eine aktivierende Kulturpolitik: a) Wie lautet der konkrete öffentliche Auftrag einer Kultureinrichtung?, b) wie wird dieser durch die Programmatik ausgefüllt?, c) wo gründen sich Verantwortungspartnerschaften? und schließlich d) wie sieht die konkrete Ausgestaltung (und Finanzierung) der öffentlichen Kulturaufgabe aus? Dieses Modell gelte letztlich auf allen Ebenen der Kulturpolitik. Man bedürfe insoweit einer neuen Rollendefinition, einer neuen Steuerung und eines neuen Leitbilds von Kulturpolitik.
Im zweiten Teil geht es unter dem Titel Kontent um die eigentlichen Gestaltungsfelder der Kulturpolitik, die Scheytt sehr klug in die drei Bereiche Künste, Geschichtskultur und Kulturelle Bildung unterteilt. Unter anderem am Beispiel der öffentlichen Finanzierung der Theater und Orchester erörtert Scheytt den intelligenten Umgang mit Legitimationsproblemen dieser größten und teuersten Kunstproduktions-Institutionen. Der dritte Teil mit dem Titel Konsens behandelt das Zielsystem öffentlicher Kulturpolitik: Wie können letztlich politische Mehrheiten für bestimmte kulturpolitische Entscheidungen gefunden werden? Welche konkreten Ziele definiert insoweit ein Land oder eine Kommune?
Alles in allem ein sehr lesenswertes Buch, das neue Maßstäbe setzt und das nicht nur auf den Tisch verantwortungsvoller Kulturpolitiker gehört.
Gerald Mertens