Veit, Gottfried

Konzertführer

100 Schlüsselwerke für Blasorchester und Bläserensembles, ausgewählt und kommentiert von Gottfried Veit

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: DVO DRuck und Verlag Obermayer, Buchloe 2016
erschienen in: das Orchester 07-08/2017 , Seite 58

Mein erster Gedanke: endlich ein Konzertführer für Blasorchester, überdies mit ansprechendem Cover. Der in der süddeutsch-österreichi­schen Blasmusikszene bestens bekannte Gottfried Veit wählte aus dem schier unüberschaubaren Fundus an Literatur für Bläserensemble als Orientierungshilfe unter zehn Aspekten 100 Werke aus, die „(Blas-) Musikgeschichte geschrieben haben“, die zu „Standardkompositionen“ geworden sind, die eine „außergewöhnliche Signalwirkung“ hatten oder, nicht zuletzt als persönlichen Aspekt, die ihm „besonders nahe standen“. Wertende Gesichtspunkte wie „blasmusikalische Dutzendware“ sind allerdings schwierig zu beurteilen.
Veit behandelt indes nur ein Werk eines Tonkünstlers – wobei er nicht nur Blasmusikkomponisten aussuchte –, benennt dessen Geburtsjahr und Kurzvita. Rechts daneben ist meistens die Frontseite der Partitur oder der „Direktion“ (ein Dirigierparticell mit Instrumentenhinweisen) abgebildet. Leider, so räumt Veit ein, war es nicht immer „möglich, die Abdruckrechte“ zu erhalten, und so musste er ferner auf manche Komponistenporträts verzichten. Bedauerlicherweise ließ er aber lieber eine Leere zurück, anstatt diese mit weiteren Informationen zu füllen.
Ferner verblüfft die alphabetische, aber auch etwas konfus erscheinende Liste der Komponisten, obwohl man zu spüren scheint, wie Veit vor der undankbaren Schwierigkeit stand, zu abstrahieren: Insbesondere die Auslese jener Komponisten überrascht, die weit vor der eigentlichen Zeit der Sinfonischen Blasmusik – also bis etwa 1920 – ih­re Stücke geschrieben haben wie Jos­quin Desprez, Giovanni Gabrieli, Claudio Montevedi oder Johann Philipp Krieger. Deren Bläsermusik gehört in die sogenannte Alta musica – der hohen Zeit der Blasmusik der Renaissance – in die höfische Musik oder in die Kategorie der schier unübersehbaren, nachbarocken Feld- und Harmoniemusik. Diese bedürften eines gesonderten Musikführers, da sich die Instrumente von den heutigen unterscheiden.
Schwierig nachzuvollziehen ist ebenso das mit einem Fragezeichen versehene Concertino für Oboe von Weber. Andere Werke aus dem 19. Jahrhundert, insbesondere die von Mendelssohn, Bruckner oder Wagner, sind indes bereits hinreichend beschrieben. Warum also der stets sehnsüchtige Blick zu jenen Komponisten, als ob nur sie der Blasmusik echte Bedeutung verleihen würden. Und warum ausgerechnet der Yorksche Marsch von Beethoven (er fehlt im Komponistenverzeichnis) bei der großen Anzahl von hervorragenden Märschen? Dagegen ist seine Parthia Es-Dur op. 103 nicht einmal erwähnt.
Dennoch: Viele besprochenen Werke des 20. Jahrhunderts spiegeln die derzeitige Blasmusikzsene zwar nur punktuell, aber insgesamt ehrlicher wider: von Ernest Majo über Stephan Jaeggi und Paul Hindemith zu Johan de Meij und Bert Appermont, während die Zirkuspolka von Strawinsky kurios erscheint, dagegen die Bläser-Sinfonie Es-Dur op. 46 von Nikolaj Mjaskowskij fehlt. Dennoch ist der nicht ganz zu Ende gedachte Konzertführer ein hoffnungsvoller Anfang.
Werner Bodendorff