Paganini, Niccolò

Konzerte für Violine und Orchester VI & V

Rubrik: CDs
Verlag/Label: telos TLS 048
erschienen in: das Orchester 12/2007 , Seite 82

Ingolf Turban trat ins öffentliche Rampenlicht, als er mit 21 Jahren zum Konzertmeister der Münchner Philharmoniker unter Sergiu Celibidache berufen wurde. Als er drei Jahre später auf den Rat des Dirigenten hin die Orchesterlaufbahn aufgab und sich ganz seinen solistischen Zielen widmete, gelang ihm nicht auf Anhieb die glänzende Starlaufbahn etwa einer Anne-Sophie Mutter, aber der Künstler eroberte sich doch mit großer Beharrlichkeit seinen Platz im Konzertleben. Dass er nicht im grellen Rampenlicht des Musikbetriebs steht, hat den Vorteil, dass er sich auf selten gespieltes Repertoire und auf eine Vertiefung seiner geigerischen Ausdrucksmittel konzentrieren kann.
Ein Ergebnis seiner Erkundungen selten gespielten Violinrepertoires in Form einer Gesamteinspielung aller Paganini-Konzerte erweist, dass Ingolf Turban einer der interessantesten Geiger unserer Zeit ist. Paganinis Musik steht für Virtuosität um jeden Preis, aber nicht für musikalische Substanz. Die ungeheuren technischen Schwierigkeiten verlocken zumeist Virtuosen mit stupender Geläufigkeit zur Interpretation seiner Musik, nicht aber die nachdenklichen und in die Tiefe gehenden Musiker.
Dagegen entdeckt Ingolf Turban in Paganinis Violinkonzerten ganz Erstaunliches: eine sprechende Melodik, die oft an Mozart erinnert, Dramatik, im spannenden Zusammen- und Gegeneinanderspiel von Orchester und Solist und Klangfarben, die das Ausdrucksspektrum der Violine beträchtlich erweitern. Die Violinkonzerte erklingen so nicht als reine Virtuosenkonzerte, in denen der Solist seine technische Überlegenheit beweist. Sie werden auch zum musikalischen Genuss und lassen erahnen, was Paganinis Faszination ausmachte: Er setzte seine Technik ein, um die Ausdrucksmöglichkeiten seines Instruments zu erweitern. Ingolf Turban gelingt es, die technischen Anforderungen vergessen zu lassen. So schwierig diese Musik auch ist, sie klingt nicht „schwierig“, aber in höchstem Maß und im positiven Sinn stets unterhaltsam und spannend. Die langsamen Sätze, insbesondere das Andante un poco sustenuto des 5. Konzerts, haben die Expressivität der Romantik, die Paganini für die Violine entdeckte. Turban versteht es hier, auf seiner Violine zu „singen“ und dabei so zu artikulieren, als ob er eine italienische Arie vortragen würde.
Im WDR Rundfunkorchester mit seinem Dirigenten Lior Shambadal fand der Solist einen kongenialen Partner. Das Orchester spielt sehr transparent, nimmt jeden Ton ernst, hat ein weites dynamisches Spektrum und setzt lebendig und geistvoll rhythmische Impulse. Kongruent mit dem Solisten folgt es den großen Spannungsbögen der Musik, ohne die Details zu vernachlässigen.
Insgesamt eine Maßstäbe setzende Interpretation, die einen neuen und vertieften Zugang zu Paganini ermöglicht.
Franzpeter Messmer