Beethoven, Ludwig van

Konzert Nr. 1 in C für Klavier und Orchester op. 15

Urtext, Partitur, Klavierstimme und Critical Commentary, hg. von Jonathan del Mar, Klavierauszug nach dem Urtext von Martin Schelhaas

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Bärenreiter, Kassel 2013
erschienen in: das Orchester 02/2014 , Seite 71

Beethovens C-Dur-Klavierkonzert – ein Geniestreich durch und durch – ist in der hier anzuzeigenden Neuausgabe in mehrfacher Hinsicht üppig aufbereitet. Sie besteht aus vier Teilen, die Interpret und Wissenschaftler in unterschiedlichem Maße interessieren werden: Im Zentrum der Neuedition steht naturgemäß die Partitur mit integriertem Klavierpart. Zugleich ist die Klavierstimme separat herausgegeben worden – in angenehm zu lesendem Satz und mit durchgehend problemlosen Wendestellen. Der zusätzlich dazu von Martin Schelhaas erstellte und wiederum eigens herausgegebene Klavierauszug des Orchesterparts – mit erneutem Abdruck der Klavierstimme in kleinerem Stich – wirkt da fast schon wie ein zusätzliches Präsent. Der Benutzer der Ausgabe fragt sich, ob es nicht möglich, ja sinnvoller gewesen wäre, den vollständig arrangierten Orchesterpart mit der Klavierstimme zu vereinen. Der Spieler wüsste dann, was in den Pausen jenseits seiner Generalbass-Skizzen geschieht, und der Korrepetitor könnte gegebenenfalls leichter vom Orchesterpart zur Solostimme „springen“. Aber dies nur am Rande; niemand wird diese Ausgabe wegen ihrer Benutzerfreundlichkeit angreifen wollen.
Wissenschaftliches Kernstück und eigentliche Visitenkarte des Herausgebers ist der staunenswert umfangreiche Kritische Bericht in englischer Sprache. Er enthält Faksimile-Abbildungen aus Autograf und Erstausgabe, ausgiebige Quellenbeschreibungen und -bewertungen (nebst Stemma) sowie detaillierte Anmerkungen zur Textkritik auf knapp 40 teils eng bedruckten Seiten. Die Genauigkeit der Angaben ist nach den gemachten Stichproben nicht zu beanstanden; man bewundert die Sachkenntnis und Akribie des Herausgebers, ist andererseits aber doch erstaunt, dass eine „klassische Problemstelle“, nämlich Takt 172 des ersten Satzes, im Notentext unkommentiert bleibt: Der Spitzenton der melodischen Phrase lautet in Übereinstimmung mit den Quellen f3, obwohl der Zusammenhang eindeutig fis3 nahelegt (an der Parallelstelle in der Reprise wird dem Benutzer denn auch – kommentarlos – h2 statt b2 präsentiert). Del Mars Begründung liest sich recht umständlich, und es hätte, wie ich meine, eine Fußnote in den Notentext gehört mit dem Hinweis auf f3 als höchstem Ton der damaligen Klaviere – jedenfalls zur Entstehungszeit des Werks. Gelegentlich zu beobachtende Differenzen in der Bogensetzung zwischen dem Klavierpart der Partitur und der Klavierstimme bleiben mitunter ohne stichhaltige Erklärung. Die Ausgabe hält allerdings insgesamt sehr wenige solcher Stolpersteine bereit.
Im Ganzen liegt hier eine sehr gut und gewissenhaft aufgearbeitete Edition vor, die einen sauberen Notentext mit konsequenter Absicherung im Kritischen Bericht vereint.
Ulrich Bartels