Schneider, Enjott

Konzert Nr. 1

"Dugud" für Violoncello und Orchester, Klavierauszug vom Komponisten

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2013
erschienen in: das Orchester 02/2014 , Seite 70

Komponieren, eine brotlose Kunst? Nicht für Enjott Schneider, dessen Uraufführungen – wie unlängst die seiner 6. Sinfonie Der Rhein, einem Werk in der Tradition der Sea Symphony von Vaughan Williams – Säle zu füllen vermögen und begeisterte Zuhörer hinterlassen. Unbestreitbar verfügt Schneider über eine besondere Begabung für deskriptive, oder besser: illustrative Musik. Seine seit 1979 bestehende Lehrtätigkeit an der Münchner Musikhochschule wurde 1996 umgewandelt in eine Professur für Film- und Fernsehkomposition, und Schneider selbst zählt heute zu den meistbeschäftigten Vertretern dieses Genres: Sein Spektrum reicht von Tatort bis Stauffenberg, von Stalingrad bis Bibi Blocksberg.
Daneben betätigt sich Schneider in administrativen Gremien: Er ist Vorsitzender der GEMA und Präsident des Deutschen Komponistenverbandes. Hier streitet er für Autorenrechte und geistige Freiheit, wobei zugespitzte Äußerungen Schneiders wie diejenige, geistiges Eigentum gehe heutzutage „in der aggressiv-kapitalistischen Reglementierung des Menschen durch Konzerne und Profitmaximierung“ zugrunde, aus dem Mund eines erfolgreichen Herstellers kommerzieller Musik unfreiwillig komisch anmuten.
Dugud – ein mythischer Vogelgott, der vom orientalischen Raum bis hin nach Ungarn verehrt wurde. Der Sage nach ist Emeshe von Dugud geschwängert worden, und dieser Liaison entstammt der Urahn der ungarischen Könige. Dies ist das Sujet des 1. Cellokonzerts von Enjott Schneider, das anlässlich der Celloakademie Rutesheim 2011 von Widmungsträger László Fenyö, dem ehemaligen Solocellisten des hr-Sinfonieorchesters, uraufgeführt wurde. Die drei kontrastreich angelegten Sätze bieten einem virtuosen Solisten alles, was das (traditionsbewusste!) Cellistenherz begehrt: Große Entwicklungslinien von dunklem Brodeln in der Tiefe bis zu aggressiven Sechzehntelpassagen im 1. Satz „Emeshes Traum“ intensives Cantabile im Mittelsatz „Geister der ungeborenen Kinder“ schließlich unverblümte Balkan-Folklore, Arpeggien, Doppelgriffe, Rasanz im „Visionen“ überschriebenen Finale. Mit Raffinement gelingt es Schneider, das groß (allerdings ohne Trompeten und Posaunen) besetzte Orchester so einzusetzen, dass die heikle Balance zum Soloinstrument – ein latentes Problem aller post-klassischen Cellokonzerte – nie gefährdet ist. Alles klingt, und alles klingt gut. Schneider ist ein Könner.
Der Notentext der Solostimme ist übersät mit Spielanweisungen wie „Große Geste“, „Voller Ton“, „Ausspielen“ und Ähnlichem. Hier setzt sich ein Komponist unverhältnismäßig in Szene, geht es doch kaum um essenzielle Erläuterungen des Notentextes, sondern vielmehr um Trivialitäten altbackenen Musizierens. An deren Legitimität und an der Berechtigung solchen Komponierens soll nicht gezweifelt werden. Schneiders wohlklingendes Credo „Kunst ist Kunst – contra Kommerz“ bedarf allerdings angesichts eines Werks wie Dugud gewaltiger Relativierung: Wirklich zeitgenössische Kunst ist etwas ganz anderes!
Gerhard Anders