Dvorák, Antonín
Konzert in h
für Violoncello und Orchester op. 104, hg. von Jonathan Del Mar, Studienpartitur
1999 erschien in England eine Monografie über Antonín Dvoráks Cellokonzert. Ihr Autor, Jan Smaczny, ist Professor für Musikwissenschaften in Belfast und Experte für tschechische Musik. Dieses Buch ist bis heute das einzige zum Thema. Angesichts der Beliebtheit des Werks eine überraschende Tatsache, vielleicht jedoch auch ein Symptom dafür, dass hohe Popularität einer analytischen Beschäftigung mit dem jeweiligen Objekt gelegentlich im Weg zu stehen scheint.
Smaczny ist auch Verfasser des Vorworts zur vorliegenden Urtext-Partiturausgabe und verweist hier auf einen erstaunlichen Fund: eine handschriftliche Solo-Violoncello-Stimme, die eine Frühfassung des Werks wiedergibt. Sie tauchte 2012 in einem Privatbesitz in New Jersey/USA auf. Dvorák schrieb sein Cellokonzert bekanntlich während seines dreijährigen USA-Aufenthalts (1892-1895) und scheint durchaus um die Gestaltung des Werks gerungen zu haben.
Sein erster Versuch in Form eines Rückgriffs auf Skizzen zu einer Cellosonate erwies sich, so Smaczny, als Fehlstart, danach scheint sich die Konzeption gefestigt zu haben. Gleichwohl fand das beliebte Werk erst nach Dvoráks Rückkehr ins heimatliche Böhmen zu seiner endgültigen Form. Hier kommen biografische Details zum Tragen, die indes seit Langem dokumentiert sind: etwa der Tod von Dvoráks Jugendliebe und späteren Schwägerin Josefina, die Einfügung des von ihr geliebten Dvorák-Lieds Lass mich allein op. 82,1 in den langsamen Satz, aber auch Dvoráks ablehnende Reaktion auf das Ansinnen des Widmungsträgers Hanus Wihan, eine umfangreiche Kadenz in den Finalsatz einzufügen.
Ein Hoch allemal auf akribische Quellenforschung und ebenso auf die moderne Urtext-Editionspraxis: Sie ermöglichen uns immer wieder frische Blicke auf das scheinbar Bekannte. Gemäß den geltenden Usancen und Standards auf diesem Gebiet hat Herausgeber Jonathan Del Mar hier Eigenheiten der Dvorákschen Notierungsweise etwa von Akzidenzien, Vorschlagsnoten, Bindebögen weitestgehend beibehalten oder allenfalls skrupulös vereinheitlicht. Vom engen Bezug zur Praxis zeugt andererseits etwa die Bezugnahme auf eine kritische Stelle im 1. Satz des Konzerts (Takte 257-260). Die seit den Tagen von Casals und Feuermann gängigsten Varianten dieser gemeinhin als unspielbar geltenden Stelle werden in einer Fußnote wiedergegeben.
Es mag gestattet sein, auf diesem Level editorischer Praxis eine marginale Übersetzungspanne anzumerken: the key has turned to the tonic major meint nicht den Wechsel zur Durparallele der Tonika, sondern zur gleichnamigen Durtonart. Im Takt 347 des Finalsatzes geschieht genau dieses: Die Vorzeichnung wechselt von h-Moll nach H-Dur.
Bärenreiter hat mit dieser Partitur sein Sortiment zum Dvorákschen Cellokonzert Aufführungsmaterial, Solostimme, Klavierauszug, Kritischer Bericht erfolgreich komplettiert: ein alternativloses Produkt!
Gerhard Anders