Paul Ignaz Liechtenauer

Konzert in G für Oboe, Streicher und Basso continuo

Partitur, Klavierauszug und Stimmen, hg. von Stefan Hanheide und Thilo Abend

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: epOs Music, Osnabrück
erschienen in: das Orchester 6/2024 , Seite 66

Noch immer fördern Musikwissenschaftler und musikalische Spurensucher in Bibliotheken und Privatsammlungen „neue“ Werke vergangener Epochen zutage, entdecken gar längst vergessene Komponist:innen wieder, die noch vor einem Jahrhundert in Fachkreisen durchaus einen Namen hatten. So hat sich Stefan Hanheide in den vergangenen zehn Jahren viel mit einem Osnabrücker Domkapellmeister der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts beschäftigt und dessen bisher bekannte Kompositionen veröffentlicht. Zwei Bänden mit 24 Offertorien und sechs Messen von Paul Ignaz Liechtenauer folgt jetzt ein einzelnes Oboenkonzert, das in der Sammlung der Fürsten zu Bentheim-Tecklenburg verwahrt wurde.
Liechtenauer, der rund zehn Jahre vor Bach und Händel geboren wurde und in Mozarts Geburtsjahr starb, war am Osnabrücker Dom 40 Jahre lang Organist und Kapellmeister und schrieb laut einem überlieferten Werkverzeichnis naheliegenderweise vor allem Musik zum Gebrauch während der Messe, jedoch sind auch weltliche Arien und Duette dort aufgeführt. Das Konzert in G-Dur für Oboe, Streicher und Generalbass scheint dagegen ein Einzelstück in Liechtenauers Schaffen zu sein. Thilo Abend und Stefan Hanheide, die dieses Werk jetzt in der Partitur und praktischerweise ergänzt um Klavierauszug und Einzelstimmen herausgegeben haben, sehen es näher bei Händel als bei Bach und auf jeden Fall einer Veröffentlichung und natürlich auch Wiederaufführung würdig.
Paul Ignaz Liechtenauers Oboenkonzert hat eine Spieldauer von rund zehn Minuten, die klassische Satzfolge schnell-langsam-schnell und weist in Solo und Begleitung keine besonders hohen spieltechnischen Anforderungen auf. Die beiden Allegro-Ecksätze vermitteln Spielfreude und Vorwärtsdrang und dürften von einer zupackenden Spielweise und überlegten dynamischen Kontrasten sehr profitieren, während im schlichten und kurzen Largo, in dem sogar die Bratschen pausieren müssen, durchgehend das Soloinstrument dominiert. Die Oboe darf hier, auf einem ganz luftig-durchsichtigen Klangbett, einen wunderbar fließenden Gesang anstimmen, der vielleicht ein wenig in Richtung des sonst vokalbetonten Œuvres des Domkapellmeisters weist.
Stefan Hanheide und Thilo Abend haben dieses kleine Werk mit viel Feinarbeit zur Veröffentlichung vorbereitet und mit einem äußerst informativen und umfangreichen Einführungstext versehen. Eingriffe in die handschriftliche, jedoch nicht autografe Quelle haben sie behutsam vorgenommen und sauber dokumentiert. Mit den sparsam gesetzten Vortragsbezeichnungen wartet dieses Oboenkonzert von Paul Ignaz Liechtenauer jetzt nur noch auf eine Wiederentdeckung auch im Konzertsaal.
Daniel Knödler