Elgar, Edward
Konzert in e
für Violoncello und Orchester op. 85, Urtext, Partitur/Kritischer Bericht/Bearbeitung für Violoncello und Klavier vom Komponisten
Love Joy Power Knowledge notierte die englische Cellistin Beatrice Harrison als vierfache Headline in ihre Solostimme des Cellokonzerts von Edward Elgar. Zwar hob nicht sie, sondern Felix Salmond das Werk im Jahr 1919 aus der Taufe, doch dürfte Meister Elgar eine besondere Sympathie für ihre Interpretation empfunden haben, denn er engagierte Beatrice Harrison zweimal (1919 und 1928) zu Aufnahmen jenes Werks, das bis heute zu den populärsten Cellokonzerten zählt und als Abgesang sowohl auf das viktorianische Empire als auch auf die romantische Hoch-Zeit des Cellospiels gehört werden mag.
Allein der Abdruck jener mit Anmerkungen und Fingersätzen reichlich bedeckten Seite 1 der harrisonschen Cellostimme im Kritischen Bericht der vorliegenden Neuausgabe lässt Zeitgeist und Atmosphäre spürbar werden, vor deren Hintergrund das vermeintlich unzeitgemäße Werk entstand. Doch der Kritische Bericht bietet noch mehr authentisches Material: neben einigen Skizzen aus Elgars Entwurf für Violoncello und Klavier vor allem die komplette Ur-Solostimme von Elgars Hand, aus der Salmond die Premiere des Stücks spielte und in der sich zahllose Eintragungen von Solist und Komponist finden.
Im zweiten Teil des fast 50 Seiten umfassenden Kritischen Berichts folgen eine detaillierte Beschreibung der Quellen und deren Auswertungen sowie aufschlussreiche Anmerkungen zur Quellen-Hierarchie im Zusammenhang mit der Edition des Solo- und des Orchesterparts. Eines muss der interessierte Leser allerdings mitbringen: gute Englischkenntnisse. Da der Bericht zweifellos die zurzeit kompetenteste Darstellung der Entstehungs- und Quellenlage enthält und sich gelegentlich geradezu spannend liest dann, wenn uns Herausgeber Jonathan Del Mar über Elgars Schulter schauen lässt , wäre eine Übersetzung ins Deutsche wünschenswert.
In zusammengefasster Form finden wir die Darstellung der wichtigsten Quellen (d. h. der autografen Partituren und Stimmen sowie Erstdrucke) auch im Vorwort der Partitur, des gewichtigsten Teils dieses hinsichtlich seines editorischen Werts und seiner Präsentation hoch zu lobenden (wiewohl nicht billigen!) neuen Bärenreiter-Sets. Besonders dankenswert ist die Publikation von Teil 3: die durch Elgar selbst erstellte Version des Konzerts für Violoncello und Klavier. Keine nachträgliche Bearbeitung des fertigen Werks, kein Klavierauszug, sondern eine zeitgleich mit der Orchesterpartitur entstandene Fassung, die allein mit Blick auf Aufführungen im Rahmen des Hochschulstudiums bzw. von Prüfungen wesentlich höhere Authentizität gewährleistet, wenn nur ein Klavier zur Verfügung steht.
Mit dieser Ausgabe liegt eines der großen Werke des Cellorepertoires nun in einer vorbildlichen, auf echter Quellen-Diskussion basierenden Edition vor. Wie erhellend und für den Interpreten bedeutsam dies sein kann, zeigen die Erwägungen rund um zwei signifikante Stellen (Takt 40, Takt 78) im 2. Satz des Konzerts, an denen wohl alle Solisten dieser Welt das gleiche tun: abbremsen! Jonathan Del Mar spricht hier vom most severe dilemma for the interpreter in the entire work und rekurriert in seiner Diskussion auch auf die beiden autorisierten Aufnahmen mit Beatrice Harrison. Auf diese Weise vermittelt er uns zumindest knowledge, genau betrachtet aber auch power, joy und love.
Gerhard Anders