Holliger, Heinz
Konzert “Hommage à Louis Soutter”
für Violine und Orchester, Klavierauszug
Für mich ist das poetische Programm auch nichts weiter als der Formen bildende Anlass zum Ausdruck und zur rein musikalischen Entwicklung meiner Empfindungen das schrieb nicht Heinz Holliger, sondern Richard Strauss, aber es hätte auch Holliger äußern können. Nachdem er im umfangreichen, dem Klavierauszug beigefügten Vorwort zu seinem grandiosen Violinkonzert Hommage à Louis Soutter (1995/2002) auf Leben und Werk des schweizerischen Musikers und Malers Louis Soutter (1871-1942) eingegangen ist, soweit sie die Konzeption der Musik direkt oder indirekt geprägt haben, bestimmt Holliger mit allem Nachdruck, das Konzert sei absolute Musik, keine Deskription seiner Bilder, seines Lebens. Ein Beispiel für diese sehr subtilen Beziehungen: Die Solovioline setzt im Kopfsatz der vier ineinander übergehenden Sätze des Werkes mit einem fast wörtlichen Zitat aus dem Einleitungsabschnitt der 3. Sonate für Violine solo op. 27 Nr. 3 (1923) von Eugène Ysaÿe ein, der Soutters hoch verehrter Geigenlehrer war; und Holliger selbst versteht die von ihm im Konzert entwickelte Geigentechnik als konsequente Fortsetzung derjenigen von Ysaÿe.
Soutter zählt, wie Hölderlin, Schumann oder Robert Walser, zu jenen aus- oder eingesperrten, im Leben scheiternden, tragisch endenden Existenzen, zu denen Holligers moralischer Impetus eine besondere Affinität entwickelt hat. Soutter wirkte im Genfer Orchestre de la Suisse Romande, bis ihn Ernest Ansermet ausschloss; seine Angehörigen sperrten ihn, nachdem sie ihn entmündigt hatten, in einem Altersheim weg, die Schwägerin zerstörte eines seiner Bilder aus Scham. Holliger bezieht sich im Konzert wohl auf solche Ereignisse, verwandelt sie aber gänzlich in Musik. Und diese Musik voller Anspielungen, die nur ein intimer Kenner zu erkennen und zu entschlüsseln vermag, ist schlechterdings grandios konzipiert und unerhört fantasievoll gestaltet: ein Meisterwerk, das die großen Konzerte der 1930er Jahre (Bartók, Berg oder Hindemith) auf höchstem Niveau fortführt.
Der Klavierauszug von Gabriel Bürgin ist nun seinerseits meisterhaft gearbeitet. Er ist denn auch weniger ein Auszug als vielmehr eine Nachkomposition der ganz auf einen äußerst individuellen Orchesterklang gestellten Komposition und entsprechend schwer zu spielen. Man ahnt auch die Mühen, welche die komplexe Drucklegung bereitet haben muss! Aber sie haben sich gelohnt. Thomas Zehetmair, dem das Konzert gewidmet ist, hat es unter Holliger authentisch eingespielt und einen Maßstab gesetzt, der die sich ihrer Kunst verpflichtet fühlenden Geiger hoffentlich herausfordern wird.
Giselher Schubert