Cerha, Friedrich / Franz Schreker
Konzert für Violoncello und Orchester / Kammersymphonie in einem Satz
Phantasiestück in C’s Manier so hieß das Ergebnis eines Kompositionsauftrags, den Friedrich Cerha 1989 von Heinrich Schiff und dem Festival Wien Modern erhielt. 1996 fügte Cerha noch zwei Sätze hinzu und das Phantasiestück bildet nun den Mittelsatz eines 35-minütigen Cellokonzerts. Der auf Schumann und E. T. A. Hoffmann (aber auch auf Cerha selbst!) verweisende Titel kennzeichnet auch den Gesamtcharakter des Werks: Mit Orgel, Saxofon und reichhaltigem Schlagwerk inklusive Steel Drums äußerst farbenfroh besetzt, zudem von teils verspieltem, teils geheimnisvoll zwielichtigem Gestus beseelt, beschwört das Opus mehr als einmal die Klang- und Ausdruckswelt der Romantik, ohne diese allerdings direkt zu zitieren. Cerhas Tonsprache gibt sich stets griffig und assoziationsreich, bewohnt einen äußerst individuellen Bezirk jenseits von Avantgarde und Postmoderne. Als entfernter Verwandter grüßt Alban Berg, auf den zu Beginn des Mittelsatzes konkret Bezug genommen wird, wenn die Frösche und Unken der Teichszene des dritten Wozzeck-Akts sich zu Wort melden.
Dem Solisten gibt das Werk reichlich Raum zur Entfaltung seiner Virtuosität: Kaum ein Moment, in dem er schweigt, auch wenn er über weite Strecken lediglich als Primus inter Pares innerhalb des orchestralen Geflechts zu vernehmen ist. Es sei nicht verschwiegen, dass der dritte Satz sich nicht immer auf der Höhe der anderen bewegt; seine Geschäftigkeit wirkt gelegentlich etwas beliebig, und der leise vertröpfelnde Schluss vermag nicht wirklich zu überzeugen. Insgesamt jedoch handelt es sich um eine wertvolle Bereicherung der Konzertliteratur für Violoncello, auf vorliegender CD packend dargeboten vom Widmungsträger Heinrich Schiff.
Aufgrund ihrer farbtrunkenen Schönheit bildet Franz Schrekers 80 Jahre früher entstandene Kammersymphonie eine nicht unpassende Ergänzung zu Cerhas Konzert. In seinem einzigen genuin sinfonischen Orchesterwerk bietet Schreker eine faszinierende Zusammenfassung seiner kompositorischen Grundprinzipien: eine mit Instrumenten wie Klavier, Harfe, Celesta und Harmonium vielfältig irisierende Instrumentation verbindet sich mit luxuriös süffiger Harmonik, herkömmlicher Funktionalität enthobener Tonalität und ebenso origineller wie freier Formbehandlung zu einem tönenden Sinnbild Wiener Décadence zu Ende der k.u.k.-Zeit. Peter Eötvös und das Niederländische Radio-Kammerorchester bringen jedes wertvolle Detail der vielschichtigen Partitur in geradezu dreidimensionaler Transparenz zum Klingen und lassen dabei dem primär sinnlichen Charakter der Partitur Gerechtigkeit widerfahren: eine Referenzaufnahme dieses unverständlicherweise viel zu selten gespielten und aufgenommenen Meisterwerks!
Thomas Schulz