Lalo, Édouard
Konzert für Violoncello und Orchester d-Moll
hg. von Peter Jost, Studienpartitur
Wenn zwei Große beschließen, gemeinsam ganz groß zu werden, entspringt dies bisweilen purem Expansionsdrang und führt zu Monopolisierungen am Markt. Eine ganz andere, dem Wohl der Sache dienende Motivation generierte die seit 2003 bestehende Kooperation zwischen den Verlagen Breitkopf & Härtel und Henle: Der Joint-Venture-Idee eines der führenden Urtext-Häuser und des Traditionsverlags für Orchestermaterial schlechthin verdanken wir mittlerweile etwa 40 Ausgaben bedeutender sinfonischer Werke von Mozart bis Berg, in denen alles Partitur, Klavierauszug, Einzelstimmen, Editorischer Bericht aus einer und zudem höchst kompetenter Hand stammt: Kundenfreundlicher gehts kaum!
Auch die vorliegende Edition des Lalo-Cellokonzerts ist Bestandteil dieses Katalogs. Um das 1877 entstandene, aus charmant-einprägsamen Themen gebaute, cellistisch dankbare Werk ist es (täuscht der Eindruck?) ein bisschen stiller geworden. Nur wenige Solisten sind mit Lalo zu hören, obgleich das Werk wie man partiturlesend wieder feststellt nichts von seiner Frische eingebüßt hat. Parallel zu Camille Saint-Saëns bewegte sich auch Lalo gegen den ballett- und operngeprägten Pariser Mainstream seiner Zeit: Bei allem Ehrgeiz, auch als Opernkomponist anerkannt zu werden, komponierte Lalo mit Vorliebe Kammermusik und Instrumentalkonzerte. Mehr noch als in der populären Symphonie espagnole für Violine gelang ihm mit dem Cellokonzert ein zugleich formal stringentes wie abwechslungsreiches Werk, dessen zentrales Intermezzo in Brahmsscher Manier eine Kombination aus langsamem Mittelsatz und Scherzo darstellt.
Die Quellenlage ist verzwickt: Lalos Bereitschaft, nach Fertigstellung der Partitur, ja noch nach den ersten Aufführungen Anregungen des Uraufführungscellisten Adolphe Fischer (1847-1891) in die Gestaltung des Solo- und des Orchesterparts aufzunehmen, verdanken wir teils gravierende Textunterschiede zwischen dem autografen Klavierauszug, einer Abschrift der Solostimme sowie den bei Bote & Bock 1878 erschienenen Erstdrucken von Partitur, Klavierauszug, Solostimme und Orchesterstimmen. Zudem ist die autografe Partitur des Werks verschollen vermutlich wurde sie 1943 im Berliner Bote & Bock-Archiv einer Opfer der Flammen , sodass das Werk editorisch viele Fragen aufwirft. Diese wurden hier erstmals quellenkritisch aufgearbeitet. Es war notwendig, ein differenziertes Bild zu erstellen, das die einzelnen Arbeitsschichten und ihre wechselseitigen Abhängigkeiten sichtbar macht. Dies ist unter der Editionsleitung von Peter Jost grandios gelungen, sodass wir mit der vorliegenden Ausgabe dem Werk so nah wie nie zuvor kommen können.
Bedauerlich allein, dass nicht einmal der allgemeine Teil des Revisionsberichts Eingang in die Studienpartitur gefunden hat. Der Interessierte kann ihn über die Breitkopf-Webseite herunterladen und erfährt leider erst dort, wofür die vielen Abkürzungen stehen, die den Fußnoten der Studienpartitur beigegeben sind.
Gerhard Anders