Berg, Alban
Konzert für Violine und Orchester/Passacaglia/Lulu-Suite
Dieses Stück, sicherlich eines der Schlüsselwerke des 20. Jahrhunderts, berührt uns nach wie vor: das Violinkonzert von Alban Berg, 1935 im eigenen Todesjahr im Andenken eines Engels komponiert. Gemeint war Manon Gropius, die 18-jährig an Kinderlähmung starb. Berg schrieb ein Stück im programmatischen, höchst espressiven Stil. Leben, Sterben und Verklärung eines jungen Menschen interpretiert der Schönberg-Schüler in seinem melancholischen Solokonzert mit dem ungewöhnlichsten Beginn der Musikgeschichte (einer Tonfolge auf den quintenleeren Violinsaiten). Die Geige steht im Dialog mit dem Orchester für das persönliche, ja private Erleben eines Schicksals.
Das geht unter die Haut, zumal bei Vladimir Spivakovs ebenso edler wie sensibler Deutung. Er stellt alle virtuose Rasanz, alle solistische Eitelkeit hintan und vermittelt Demut des Interpreten gegenüber dem Werk. Spivakov, der über eine Stradivari von 1712 und somit über eines der kostbarsten Instrumente weltweit verfügt, lässt sich von der Tiefe und Würde des Berg-Konzepts anleiten. Der russische Geiger, in Moskau ausgebildet, ist von dieser Seelenmusik überzeugt er spielt wie aus einem langen Atemzug heraus.
Begleitet wird er vom Kölner Gürzenich-Orchester unter der Leitung von James Conlon. Da herrscht blindes Verständnis zwischen Spivakov und dem Dirigenten. Alban Berg klingt gleichzeitig so nah und so fern, so empfunden wie klug dargestellt. Die scheinbaren Gegensätze heben sich im Dialog Violine/Orchester auf.
Das Gürzenich-Orchester macht allerdings auch bei den anderen Berg-Werken eine tadellose Figur, weil sich Innerlichkeit und Klangfarben bestens ergänzen. Das gilt für die Passacaglia (1913), die ein sinfonisches Fragment blieb. Der Komponist verarbeitet ein zwölftöniges g-Moll-Thema und variiert es elf Mal. Christian von Boerris ergänzte nach dem Particell das Stück, getragen von einer meditativen Stille. Diesen Zugang verschafft auch Conlons ruhige Auslegung.
Abgerundet wird das Berg-Port-rät, das Conlon und das ausgezeichnet inspirierte Gürzenich-Orchester vorlegen, mit der sinfonischen Lulu-Suite. Vokalsolistinnen sind Natalie Karl und Ute Döring, die den typischen Berg-Ton treffen. Die Suite erzählt nicht den kompletten Inhalt der Oper, aber sie vermag Atmosphäre und Klima des bergschen Materials in einzelnen Szenen vorzustellen. Wie die zweiaktige Bühnenfassung mit der sterbenden Geschwitz endet, so schließt auch die Suite mit dem Todesakkord. Auch diese Musik zur dämonischen Lulu offenbart ein Merkmal die Lyrik. Sie dient James Conlon als Wegweiser.
Jörg Loskill