Mendelssohn Bartholdy, Felix

Konzert für Violine und Orchester d-Moll / Oktett op. 20

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Cavalli Records CCD 412
erschienen in: das Orchester 02/2006 , Seite 87

Friedemann Wezel und sein Kammerorchester „il capriccio“ stellen eine beeindruckende Interpretation von zwei Jugendwerken Mendelssohn Bartholdys vor. Das d-Moll-Violinkonzert schrieb das komponierende Wunderkind mit 13, das Oktett mit 16 Jahren. So wie von den jungen Musikern hier gespielt, wirken aber diese beiden Kompositionen nicht als Frühwerke, die man nicht ernst nehmen müsste, sondern erstaunlich reif und fertig. Dieser Eindruck entsteht, da „il capriccio“ nicht mit einem vorgefassten Interprationsschema an diese Musik herangeht, sie also nicht aus der späteren Sicht des 19. Jahrhunderts auffasst, sondern die musikalische Situation um 1820 einfängt, in der Traditionen aus Klassik und Sturm und Drang mit dem neuen Empfinden der Romantik zusammenstoßen.
Friedemann Wezel, der Solist und Leiter des Ensembles, ist ein vielseitiger Musiker, der als Mitglied des Freiburger Barockorchesters auch Erfahrungen in der historischen Aufführungspraxis gesammelt hat. So gelingt es ihm, im d-Moll-Violinkonzert eine sehr klare, rhythmisch pointierte Artikulation, nämlich die auf den Barock zurückgehende „Klangrede“ einzubringen und auch den neuen, sehnsuchtsvollen Ton Mendelssohn Bartholdys anklingen zu lassen. Dadurch entsteht ein neues Bild des jungen Komponisten: Er erweist sich hier als ein Musiker voller Dramatik, der Kraft, auch Härte dem romantischen Ton von Weltschmerz und Sehnsucht gegenüberstellt. Die Solovioline wird von einem kammermusikalischen Ensemble begleitet. Hierdurch gelingt es, die minutiöse Feinheit des mendelssohnschen Satzes in aller Deutlichkeit zu musizieren und dennoch orchestrale Wirkungen hervorzubringen.
Im Oktett stellt „il capriccio“ die Überschreitungen von Gattungsgrenzen wie Kammermusik und Symphonik als ein wichtiges Spannungselement von Mendelssohn Bartholdys Musik heraus. Dabei verbindet Mendelssohn Bartholdy die Polyfonie Bachs mit der romantischen Entdeckung der Instrumentationskunst. „Il capriccio“ entlockt den Streichinstrumenten eine weite Palette von Klangschattierungen und zeigt die neue Bedeutung der Klangfarbe in der frühen Romantik: Sie ist nun nicht mehr nur ein tonmalerisches Accessoire, sondern ein Element der Struktur. Virtuose Kunst der musikalischen Charakteristik und des witzig-grotesken Zusammenspiels ist im Scherzo zu erleben, das bereits schon ganz eines der für Mendelssohn Bartholdy typischen Scherzi ist: „Il capriccio“ spielt es voller Abgründigkeit und Dämonie.
Nach dem Hören dieser unvoreingenommenen, jugendlich frischen und mutigen Interpretation wird deutlich, wie sehr bisher der junge Mendelssohn Bartholdy vielfach unterschätzt wurde. Auf dieser CD stellt sich ein begeisterndes junges Ensemble vor, dem man eine große Zukunft wünscht.
Franzpeter Messmer