Tschaikowsky, Peter I. / Erich Wolfgang Korngold

Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 35/Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 35

Rubrik: CDs
Verlag/Label: DG 289 474 5152
erschienen in: das Orchester 05/2005 , Seite 81
Sie ist längst die „Mutter der internationalen Geigenfamilie“: Denn was von Anne-Sophie Mutter an Interpretationsbeispielen auf den Markt gebracht wird, gewinnt (fast immer) Modellcharakter. So auch in der jüngsten Edition: Sie spielt die beiden mehr oder minder populären Violinkonzerte von Peter Tschaikowsky und Erich Wolfgang Korngold.
Die Kombination scheint auf den ersten Blick etwas ruppig, willkürlich oder gar exotisch, auf den zweiten (Hör-)Eindruck hin muss man diese oberflächliche Einschätzung revidieren. So, wie diese Solistin die (spät-)romantischen Stücke angeht, wie sie die Töne zelebriert, wie sie Klang zum instrumentalen Adel erhebt, da passen die beiden Stücke sogar in der „philosophischen“ Botschaft wie in der aufbrechenden Gefühlsexpression bestens zusammen. Denn beide Werke, im virtuosen Kontext ebenfalls nahe, bewegen sich auf die seelische Tiefe zu.
Die Geigerin agiert bei Tschaikowsky mit den Wiener Philharmonikern, bei Korngold mit dem London Symphony Orchestra. Jeweils steht André Previn, Mutters Mann, am Pult. Und er sieht sich als Sachwalter der Komponisten und als dienender Partner der Solistin. Er stützt den seidig-samtenen Ausdruck der Violinistin, bereitet aber auch intelligent emotionale Ausbrüche vor. Beide Werke warten mit ihnen auf. Wobei Tschaikowsky (das Konzert wurde 1881 uraufgeführt) vielleicht noch privater und expressiver mit seinem Ego umgeht. Korngolds Konzert (komponiert 1937/45) ist glatter, kräftiger und sogar „filmischer“. Denn der im US-Exil lebende Musiker verdiente seinen Lebensunterhalt im Filmgeschäft. Das lässt sich in gewisser Weise aus dem Konzert heraushören.
Auf beide Kompositionen lässt sich mit assoziativem Gedankenfundus das Zitat von den „Opern ohne Gesang“ anwenden. Denn der Russe und der aus dem damals noch österreichischen Brünn stammende Korngold investieren in ihre Werke mehr als nur Struktur, Dynamik, Klangbewusstsein. In ihnen spiegeln sich Entwürfe menschlichen Zusammenlebens, biografische Eigenheiten, existenzielle Fragestellungen. Da sind Leben und Tod, Schmerz und Freude ganz eng beieinander – mit der Betonung, und das ist aus dem Spiel Mutters herauszuhören, dass Tschaikowsky noch eine Spur gründlicher und offener mit dieser Innenschau der Extreme verfährt.
Untadelig ist Mutters geigerische Kunst. Sie lässt den Ton blühen, ist vielleicht selbst berührt von dem romantischen Geist beider Partituren. Wenn sich auch bei Korngold einige „Modernismen“ bemerkbar machen, so finden doch vier Romantiker in diesen Interpretationen zusammen: Mutter, Previn, Tschaikowsky und Korngold.
Jörg Loskill