Yun, Isang
Konzert für Oboe und kleines Orchester / “O Licht …” / Kammersinfonie II “Den Opfern der Freiheit”
Auf Grenzen gehen war für Isang Yun künstlerische Verhaltensform zeitlebens und ganz unmetaphorisch: auf der Grenze zwischen Südkorea, Deutschland und Nordkorea in reibungsintensiven, teils lebensgefährlichen Beziehungen vom Exil in Westberlin, seiner Entführung durch den südkoreanischen Geheimdienst bis zu den Versuchen, Nord- und Südkorea musikalisch einander näherzubringen. Kompositorisch entstanden Intonationen unterschiedlicher Herkunft, gleitend verbunden in eigensinnigen Balance-Akten, von denen auch die neueste, die zehnte Veröffentlichung der Internationalen Isang Yun Gesellschaft trefflich zeugt.
1990, fünf Jahre vor seinem Tod, hat der damals 73-Jährige ein Oboenkonzert geschrieben, ein stark monozentrisches Werk. Die charakteristische Haltung Yuns einer grundlegenden Ruhe und Stabilität ist hier von der ersten, fast arkadisch anmutenden Kantilene des Soloinstruments an zu spüren; ein durchartikulierter Charakter, der mit immer mehr Resonanzen, Assistenzen oder Kontraposten des kleinen Orchestertuttis in Beziehung tritt. Gezeichnete Musik, feine Lineatur und frei gestellte, oft responsorisch wirksame Bewegungszüge ergeben sich, aber auch blockhafte, ja pathosbelegte. Transparenz lässt das Gedeckte des Ausdrucks apollinisch erscheinen.
Heinz Holliger, Solist und Dirigent in einer Person, bringt die Oboe angemessen ins Zentrum: Das solistisch Einzelne ist frei- und ausgestellt. Und wird zugleich im Werkverlauf doch bestimmt durch die klanglichen Kontexte. Immer auf dem Grat zwischen dissonanter und konsonanter Tonalität, den Yun zeitlebens besonders reizvoll und atmosphärisch intensiv zu beschreiten vermochte.
Der autobiografische Hintergrund des Yunschen Schaffens, seine literarischen, religiösen, ethischen Intentionen lassen viele seiner Werke zu symbolischen Artefakten werden. O Licht
auf Texte nach Nelly Sachs und einem Gebet des Buddhismus für achtstimmigen Chor von 1981, aber besonders die untextierte Kammersinfonie II Den Opfern der Freiheit von 1989 machen die Kommentarbedürftigkeit, die der zeitgenössischen Kunst grundsätzlich eigen ist, besonders deutlich. Umso besser, dass in den Booklet-Texten Walter-Wolfgang Sparrers, einem ausgewiesenen Yun-Kenner, dem Hörer gründlichste und nachvollziehbare Aufklärung zuteil wird.
Die drei Aufnahmen, in Bremen (1997), Stuttgart (1981) und Frankfurt (1989) entstanden, bieten präsente Klangbilder, die die schwingende und doch bodenhaftende Gestalt der Werke sehr gut treffen. Exzellent die Bläser des Ensemble Modern in der Kammersinfonie unter dem viel Biegsamkeit des Klangs erzeugenden Dirigat Lothar Zagroseks. Marinus Voorberg hat bei O Licht
die Spannweite zwischen beruhigten Höhengängen und markant gefasster Tiefe in einem gleichsam östlich austarierten Gleichgewicht bewahrt.
Bernhard Uske


