Schostakowitsch, Dmitri

Konzert für Klavier, Trompete und Orchester c-Moll op. 35/Concertino op. 94/Konzert für Klavier und Orchester F-Dur op. 102

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Hänssler 93.113
erschienen in: das Orchester 07-08/2005 , Seite 90

Das Bild ging 1942 um die Welt: Mit Schutzhelm und Wasserspritze bewehrt, beteiligte sich Dmitri Schostakowitsch im von deutschen Truppen belagerten Leningrad am freiwilligen Feuerwehrdienst. Da hatte der Komponist bereits seine 7. Sinfonie geschrieben. Eine marcia militare, unter deren marschhaftem Ostinato-Tritt lange verborgen blieb, dass Schostakowitsch nicht mit hohlem Pathos den Seelenbrand der im Bomben- und Granatenhagel traumatisierten Bevölkerung löschte.
Dem ukrainischen Dirigenten Roman Kofman gelingt mit dem Beethoven Orchester Bonn – besonders in den Ecksätzen – ein genauer Blick auf die musikalischen Werte der siebten Sinfonie. Denn Kofman lässt die Streicher- und Flötenidylle des Beginns nicht einfach durch die ins Furiose gesteigerte Variationskette in die Katastrophe abkippen. Nein, er hat den richtigen Sinn für den feinen ironisierenden Ton. Aus der Büchse der Pandora marschiert eine ordinäre Blechbüchsen-Armee. Das hat nichts Verharmlosendes an sich, es ist vielmehr Schostakowitschs Hang zur Groteske, der Willen, über das Unerträgliche zu lächeln. Wie sonst hätte er selbst die Jahre des Stalinismus überlebt? Das scheinbar vordergründige Musikmanifest erhält hier ein intellektuelles Fundament, ohne die Emotionen außer Acht zu lassen. Für besondere Wirkungen sorgt zudem die Aufnahmetechnik: Bei Mehrkanal-Wiedergabe spielt die von Schostakowitsch vorgeschriebene „Banda“ aus Blechbläsern im Rücken des Hörers. Ein Special Effect zwar, doch auch dies im Dienste des einst im Kino musizierenden Komponisten.
Die substanzvolle Interpretation kann Kofman allerdings nicht durchweg halten. Im lyrischen Scherzo und in den brütenden Passagen des Adagio lässt zuweilen die Spannung nach. In der Schlussapotheose bewahren Kofman und das brillante Beethoven Orchester die Vision vom Sieg des Lichts dann aber vor dem allzu Gleißenden. Da steht diese „Eroica“ wieder mit in der ersten Reihe von Schostakowitschs Sinfonik und macht deutlich, dass der genaue Blick auf sein Œuvre lohnt.
Rechtzeitig zum 100. Geburtstag des Komponisten im kommenden Jahr haben auch der Dirigent Jir?í Stárek, der Pianist Florian Uhlig und das SWR Rundfunkorchester Kaiserslautern ein ganz besonderes Geschenk für die Verehrergemeinde des sowjetischen Musikers: Die Weltpremiere des Concertinos op. 94 in der Bearbeitung für Klavier und Kammerorchester von Ilya Dimov. Dabei begnügt sich der in Taschkent geborene und mittlerweile in den USA unterrichtende Komponist nicht mit der simplen Übertragung eines Klavierparts in die Streicherstimmen. Pauken-Grollen und dichte Adagio-Schwere samt Liegetönen in den tiefen Streichern machen aus dem jugendlich-heiteren Concertino, von Schostakowitsch für seinen damals kaum 16-jährigen Sohn Maxim geschrieben, eine gestandene Konzert-Exposition. Doch flugs taucht Dimov mit reichem Orff’schem Schlagwerk und leichtem Pizzikato die Atmosphäre in ein heiteres mediterranes Licht. Das ist eine reizvolle und spannungsgeladene Übersetzung von Schostakowitschs pianistischer Idiomatik. Sie bewahrt den Kontrastdualismus im Œuvre des Komponisten, seine Liebe zu den Extremen, wie sie auch in den beiden Klavierkonzerten zutage tritt, vor Nivellierung.
Das zweite Konzert in F-Dur op. 102 erhebt Stárek zusammen mit dem zupackend brillanten Uhlig und dem Rundfunkorchester aus dem Dunstkreis neoklassizistischer Spielmusik. Denn auch dies ist nicht ohne karikierenden Hintersinn geschrieben. Stárek spürt Pointe für Pointe auf bis zu den keck gegeneinander gesetzten Zweier- und Dreierrhythmen des Allegro-Finales.
Mehr Übermut hätte man sich dagegen beim ersten Konzert für Klavier und Trompete op. 35 gewünscht. Schon das einleitende Allegretto nimmt Stárek eine Minute langsamer als Schostakowitschs Sohn Maxim in seiner Referenzaufnahme von 1984. Im übermütigen Wechselspiel von Orchester, Klavier und Trompete mag das noch nicht auffallen. Im Lento dominiert dagegen schon eher gedehnte Melancholie. So wirkt bis zum Finale mit Beethovens Wut über den verlorenen Groschen alles zurückhaltend. Die souverän aufspielenden Peter Leiner (Trompete) und Florian Uhlig (Piano) hätten da durchaus mehr Potenzial – wie auch Schostakowitsch, was beide Einspielungen allerdings fast durchweg belegen.
Christoph Ludewig